stefan kuzmany über Alltag
: Endlich wieder jung!

Doch auch wiedererlangte Jugend schützt nicht vor der Konfrontation mit unsympathischen Autoritäten

Marco war natürlich als Erster über das Eisengitter. Er spurtete bereits quer über den Pausenhof auf die Tischtennisplatte zu.

„Ich habe schon fünfzehn Jahre lang nicht mehr Tischtennis gespielt“, behauptete Marco. Ich hatte erst letzte Woche gespielt. Und bückte mich nach dem Ball. 17 zu 15. Für ihn.

Ein königsblau-metallic gespritzter Audi kam auf den Pausenhof gefahren, wendete in einer weit ausholenden Schleife und hielt direkt neben uns, die Fahrerseite zugewandt. Der Hausmeister. Auf dem Beifahrersitz saß seine Frau, hinten die beiden Töchter. „Au Backe“, sagte Marco. Der Hausmeister ließ die Scheibe elektrisch herunterfahren.

„Machen Sie, dass Sie hier wegkommen“, sagte der Hausmeister. „Ist es so schlimm, wenn wir hier ein wenig Tischtennis spielen?“, fragte ich. Der Hausmeister sah mich nur an. Die ganze Woche lang hatten sie Krach. Jeden Tag das Geschrei. Aber heute war Sonntag. Gleich würde es Kaffee geben. „Kommen Sie, Mann, nur das eine Match“, sagte ich. Der Hausmeister sagte immer noch nichts. Die ältere Tochter reichte ihm schweigend ihr bonbonfarbenes Handy. Der Hausmeister betätigte eine Kurzwahltaste.

„Alter, der ruft die Bullen!“, rief Marco. Er sprintete bereits quer über den Pausenhof auf das Eisengitter zu. Ich hinterher. Der Hausmeister brüllte: „Das ist Hausfriedensbruch!“

Marco saß rittlings oben auf dem Zaun. „Alle Hausmeister sind schwul!“, brüllte er und hob den Mittelfinger seiner rechten Hand. „Das ist Beleidigung!“, brüllte der Hausmeister. Marco machte einen Satz in die Tiefe. Und weg war er. Als ich den Zaun erreichte, hörte ich eine Autotür zuschlagen. Der Hausmeister war unterwegs, mich aufzuhalten.

Ich war fast über den Zaun. Der Hausmeister packte mich am Knöchel meines linken Fußes. Ich zog. Er auch. Ich verlor meinen linken Schuh. Ich sprang und spurtete davon, runter zum U-Bahnhof. Geschafft, entkommen. Ich schickte eine SMS an Marco: „Bin schon fünfzehn Jahre lang vor keinem Hausmeister mehr geflüchtet, du Sack.“

Von um die Ecke, von hinter dem Kiosk her wehte ein Gespräch herüber. Tonfall aggressive Berliner Schnauze, weiblich. Höchst unangenehm. „Allet klar, dann machen wa eben noch nen Hundertfünfundachtziger draus.“

Kontrolleure. Sie hatten einen in der Mangel. Die Frau drohte ihm mit einer Anzeige wegen Beileidigung, weil er Widerworte gewagt hatte.

Ich bog um die Ecke. Jetzt war alles still. Es waren vier. Zwei gegen zwei. Mal wieder typisch: zwei Spießer in Lederjacke und mit Dauerwelle, die ihren Frust an mittel- und wohnsitzlosen Heroinsüchtigen abreagierten. Der eine von den beiden hatte den Mittelfinger der rechten Hand in einen schmutzigen Verband gewickelt. Das Mädchen trug einen neonblauen Trainingsanzug. Ich schlenderte möglichst unauffällig an ihnen vorbei.

Die U-Bahn kam. Es war eine von diesen neuen U-Bahnen, ohne Zwischentüren oder auch nur Abtrennungen zwischen den einzelnen Waggons. Ein einziger langer Schlauch. In weiter Ferne sah ich Marco stehen. Das Mädchen mit dem Trainingsanzug war bei ihm. Sie redeten miteinander. Na ja. Sein Frauengeschmack war auch schon mal besser gewesen.

Die U-Bahn beschleunigte und ging in eine Kurve, so dass ich Marco kurz aus den Augen verlor. Da bemerkte ich, dass der Mann mit dem schmutzigen Verband direkt neben mir stand. Er stellte sich gerade in Positur. Gleich würde es losgehen.

Respekt, dachte ich, ihr seid irgendwie den Kontrolleuren entkommen. Aber deswegen werde ich dir trotzdem keine Obdachlosenzeitung abkaufen. Da fiel mir wieder ein, dass ich nur noch einen Schuh trug. Er würde mir, seinem Kollegen, wohl kaum eine Obdachlosenzeitung anbieten.

Der Mann mit dem Verband sah mich an, von oben bis unten. Dann blickte er mir wieder scharf in die Augen. Dann hob er die Stimme. „Meine Herrschaften, die Fahrkarten bitte“, sagte er.

Fragen zu Alltag? kolumne@taz.de