Die Welt ist ein Warenhaus

Bei der Eröffnungsdemo des Weltsozialgipfels tummeln sich unendlich viele Gruppen. Einig sind sie sich in ihrer Sorge über einen drohenden Irakkrieg

aus Porto Alegre KATHARINA KOUFEN
und GERHARD DILGER

Der schwarze Filzstift macht sich gut auf der braunen Haut. „Ich bin nicht zu verkaufen“, schreibt Jorge sich mit der rechten Hand au den linken Arm. „I am not for sale“, auf Englisch, damit es auch die vielen Ausländer hier in Porto Alegre verstehen. Sein Freund José macht es genauso. Zwei junge Brasilianerinnen schauen zu den beiden hin, mustern die muskulösen Oberarme und grinsen. Jorge lächelt schüchtern zurück. Nein, das ist keine plumpe Anmache. Er ist aus Chile zum Weltsozialforum nach Brasilien gereist und hat nur den Slogan von Attac, „Die Welt ist keine Ware“, ein bisschen abgeändert.

Die Welt ist keine Ware, sondern ein Warenhaus mit vielen unterschiedlichen Abteilungen. Zumindest hier im sommerlichen Porto, wo am Donnerstag das dritte Weltsozialforum begonnen hat – die Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos. 70.000 Menschen aus 130 Ländern zogen zur Eröffnung des Massentreffens durch die Straßen. Alle protestierten auf ihre Weise gegen die neoliberale Globalisierung. „Wir arbeiten nicht für Profite, sondern für die Würde der Menschen“, fasst die Anti-Weltbank-Aktivistin Njoki Njehu aus Kenia zusammen.

Vor allem: laut

Ganz vorn im Demonstrationszug fährt eine Art Karnevalswagen mit einer Horde aufgekratzter brasilianischer Gewerkschaftsjugendlicher. Weiter hinten ein Transparent: „Eine andere Welt ist möglich.“ Zwei, drei deutsche Mitmarschierer skandieren „Bleiberecht für alle“ und „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest“. Aber weil die Venezolaner vor ihnen viel lauter „Cha-Cha-Chávez“ in Solidarität mit ihrem streikgebeutelten Präsidenten fordern, und weil auch die Gruppe aus Argentinien hinter ihnen entschlossen „Ich möchte in meinem Land keine IWF-Yankees mehr sehen“ ruft, verstummt der deutsche Sprechchor wieder.

Besonders lautstark gebärdet sich die linke Splittergruppe „Vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei“ aus Brasilien: „Lula, lass es geschehn / ein Referendum wolln wir sehn / Alca soll jetzt zum Teufel gehn“ rufen hunderte zu aufpeitschenden Trommelklängen. Alca, das ist die Abkürzung für die gesamtamerikanische Freihandelszone und der Inbegriff des nordamerikanischen Hegemonialstrebens auf dem Kontinent.

Von „Rettet den Planeten“ über „Gegen die Diskriminierung von Homosexuellen“ bis hin zum „Recht auf Abtreibung“ sind so ziemlich alle Forderungen vertreten, die jemals auf einer Demo erhoben wurden. Dominierendes Thema aber sind der drohende Irakkrieg und der gemeinsame Hauptfeind, der amerikanische Präsident George W. Bush.

Die Schärfe des Protests reicht von „Brot statt Kanonen“ bis hin zu Transparenten mit „Bush gleich Hitler? Nein, Bush ist schlimmer“, wie eine „Volksdelegation“ aus dem brasilianischen Nordosten hetzt. In Lateinamerika ist „Hitler“ nicht mehr als ein beliebiges Synomym für „böse“. Einige deutsche Demonstranten schauen trotzdem peinlich berührt drein – auch wegen der extrem israelfeindlichen Transparente, die allerdings nur ganz vereinzelt zu sehen sind.

„Das ist politisch“

Vor allem die Journalisten interessieren sich für derlei Polemik – nur vom harmonischen Marschieren zu berichten ist schließlich langweilig. Kurzzeitig scheint auch ein Grüppchen von Muslimen für eine Kontroverse zu taugen – doch dann stellt sich heraus, dass die zehn bärtigen Männer und die Frauen mit Kopftüchern und „Der Islam ist die Lösung“-Transparenten Studenten der Islamwissenschaft sind und keine eigens eingeflogenen Bin-Laden-Sympathisanten.

Porto Alegre – ein durchgeknallter Karnevalszug? „Nein“, findet SPD-Mitglied Detlev von Larcher, der mit Attac-Fähnchen neben dem Zug herläuft. „Das hier ist ganz und gar politsch. Die jungen Leute haben heute eben ganz andere Ausdrucksformen als damals die 68er.“

Die Bewohner der Zweimillionenstadt lehnen aus den Fenstern, stehen auf dem Balkon oder sitzen in den Cafés. „Guck mal“, sagt ein kleines Mädchen zu seiner Mama, „warum malt sich der Mann da seinen Arm an?“