Der Tod der Kriegsbegeisterung

„Wir sind Patrioten. Aber wir glauben nicht, dass der Drang zum Krieg unserem Land und der Welt dient“

aus Washington MICHAEL STRECK

Je näher die Entscheidung im Weißen Haus über einen Feldzug gegen den Irak rückt, desto mehr nehmen Unsicherheit und Sorgen in der amerikanischen Bevölkerung zu. Eine Mehrheit befürwortet zwar weiterhin einen Sturz des irakischen Diktators. Aber nur wenige unterstützen einen amerikanischen Alleingang ohne UN-Mandat und aktive Teilnahme alliierter Staaten. Seit Wochen wächst die Kluft zwischen der Rhetorik der Regierung und der Stimmung im Land. Trotz der überall anlaufenden Militärmaschinerie mit in See stechenden Flugzeugträgern, Verlegung von zehntausenden Soldaten, medialer Aufrüstung und der Einberufung von Reservisten fehlt von Kriegseuphorie jede Spur.

Stattdessen wächst die Skepsis. Die Wirtschaft schwächelt weiter. Die Arbeitslosigkeit verharrt auf hohem Niveau, Gesundheitskosten expoldieren und viele Menschen haben durch die Börsentalfahrt ihre Ersparnisse fürs Alter verloren. Kann man einen Krieg führen, während die Wirtschaft in der Krise steckt?, fragen sie misstrauisch. Doch sie schauen auch über den eigenen Tellerrand und glauben, dass ein Krieg die Probleme im Nahen Osten verschärft. Sie fürchten Vergeltung islamischer Terroristen und einen weiteren verheerenden Terroranschlag auf US-Boden.

Candace Woolford hat Arbeit, auch wenn es sich dabei nicht um ihren Traumjob handelt. Die 19-Jährige steht hinter der Ladentheke eines Juweliergeschäfts. Bis zu den Terroranschlägen vom 11. September arbeitete sie in einem Restaurant als Kellnerin. Doch die Gäste gaben immer weniger Trinkgeld, sodass sie den Dienst quittierte. Monatelang suchte sie nach einer Alternative, bis sie diesen Job für 6,50 Dollar die Stunde fand. „Die Leute haben kein Geld übrig. Ich verkaufe manche Tage gar nichts. Wenn Krieg ausbricht, wer denkt dann noch an Schmuck.“

Im Café um die Ecke macht Mary Foster gerade Mittagspause. Die Kunstlehrerin lehnt einen Krieg nicht grundsätzlich ab. „Aber haben wir einen guten Grund?“, fragt sie. „Ich glaube nicht.“ Die Sache mit Afghanistan sei in Ordnung gewesen. Die Welt habe diesen Einsatz akzeptiert und schließlich auch geholfen. Bush habe die Situation nach dem 11. September gut gemeistert, meint die 28-Jährige. „Wir sollten uns aber weiter auf den Kampf gegen den Terror konzentrieren. Im Irak verlieren wir die Unterstützung der Welt.“

Die Straßenproteste Zehntausender vom vergangenen Samstag sind die deutlichsten Zeichen einer wachsenden Friedensbewegung. Sie ist zwar nicht, wie in Europa gewünscht, gewaltig, aber auch nicht kleinlaut. In den letzten zwei bis drei Monaten konnte man beobachten, wie sich ein Land langsam veränderte. An Autos kleben plötzlich „No War“-Aufkleber. Plakate zu Antikriegskundgebungen hängen an Lichtmasten und Protestschilder stecken in Vorgärten liberaler Hochburgen wie San Francisco und New York, aber auch dort, wo man es nicht unbedingt erwartet. Der Stadtrat von Chicago, der drittgrößten Stadt der USA, verabschiedete fast einstimmig eine Resolution „gegen einen so genannten vorbeugenden Krieg“. Die Ratsmitglieder sind der Ansicht, dass von Bagdad keine nachweisbare Bedrohung für die USA ausgehe. Mehr Beweise von Bush wünschen sich nach letzten Umfragen 58 Prozent der Amerikaner, und 7 von 10 wollen den Inspektoren mehr Zeit geben.

Selbst die US-Kirchen melden sich zu Wort. Die katholischen Bischöfe und fast alle bedeutenden protestantischen Gemeinschaften haben sich gegen eine Invasion im Irak ausgesprochen – ein erheblicher Unterschied zum Vietnamkrieg. Damals erhoben die religiösen Oberhäupter erst nach jahrelangem sinnlosem Gemetzel ihre Stimme und forderten das Ende des Krieges.

Ein mächtiger, aber auch diffuser Widerstand organisiert sich virtuell. Onlinekampagnen überschwemmen das Internet. Eine der einflussreichsten ist moveon.org. „Wir sind patriotische Menschen, die um die Sicherheit unseres Landes besorgt sind. Aber wir glauben nicht, dass der Drang zum Krieg gegen den Irak unserem Land und der Welt dient“, sagt Direktor Eli Pariser. Er und seine Mitstreiter haben die Web-Aktion „Let the Inspectors work“ ins Leben gerufen. Innerhalb weniger Tage unterzeichneten 175.000 Menschen den Aufruf. „Draußen im Land braut sich etwas zusammen“, sagt er. Auch die New York Times registriert einen Stimmungsumschwung. Bush und sein Kriegskabinett seien gut beraten, die Proteste als klares Signal zu sehen. „Immer mehr Amerikaner fühlen sich nicht länger verpflichtet, alle Pläne der Regierung aufgrund des Schocks vom 11. September abzunicken“, schreibt ein Kommentator.

Losgelöst von dieser misstrauischen Haltung sehen konservative Meinungsmacher den so genannten point of no return längst überschritten. Der Zug sei nicht mehr zu stoppen, schreibt Michael Kelly in der Washington Post. Und sein Kollege Jim Hoagland glaubt, dass die arabische Welt, die Menschen im Irak und die US-Öffentlichkeit längst verinnerlicht hätten, dass Saddam Husseins mörderische Herrschaft der Geschichte angehöre. „Wiederholte Bush den Fehler seines Vaters von 1991, die Erwartungen nicht zu erfüllen, hätte das dramatische Auswirkungen. Im Unterschied zu Deutschland und Japan 1945 oder Bosnien scheute die US-Regierung vor zwölf Jahren ihre Verpflichtung. Dieser müssen wir jetzt nachkommen.“

Doch ausgerechnet die militärische Führung scheint keine Lust auf einen Waffengang zu haben. Immer wieder melden sich hohe Generäle zu Wort und opponieren gegen einen Irakkrieg. Sie wissen, dieser würde der blutigste seit Vietnam werden. Für die Militärs war damals die wichtigste Lehre, dass man keinen großen Krieg ohne die Rückendeckung der Mehrheit der Bevölkerung führen kann. „Die US-Streitkräfte sind eine hoch respektierte Institution im Land. Auf keinen Fall wollen sie zurück zu jenen Tagen, als Rekrutierungsoffiziere an den Universitäten von lautstarken Demonstranten empfangen wurden“, sagt Stephen Zumes, Politikprofessor an der University of San Francisco.

Auch der CIA gilt als unsicherer Kantonist, wenn es um die Bereitschaft, vor allem jedoch die Einsicht zum Krieg geht. Die Hauptsorge der oft weniger ideologisch geprägten Mitarbeiter ist die nationale Sicherheit. Gerade im Irak sehen sie keine unmittelbare Bedrohung für die USA, und eine Verbindung zwischen dem Regime von Saddam Hussein und dem Terrornetzwerk al Qaida konnten sie bislang ebenso wenig nachweisen. Sie würden eher eine nüchterne Kosten-Nutzen-Analyse erstellen, sagt Zumes. Nach Einschätzung der Geheimdienstler würde eine Invasion die US-Interessen viel stärker gefährden als schützen.

Somit ergibt sich die ironische Situation, dass einflussreiche Teile von Pentagon und CIA gewissermaßen Alliierte der Friedensbewegung sind. Diese kann zudem auf die verbale Unterstützung durch namhafte Republikaner, die in der Regierung von Bush senior dienten, zählen. Exaußenminister James Baker und der ehemalige Sicherheitsberater Brent Scowcroft haben den Kurs von Bush dem Jüngeren oft kritisiert. Sie schmiedeten 1990 erfolgreich eine breite Koalition gegen den Irak und handelten im Auftrag der Weltgemeinschaft – in ihren Augen unabdingbare Voraussetzungen, die heute fehlen.

Wie damals vor zwölf Jahren dümpelt die US-Wirtschaft auch heute vor sich hin. Während einige Optimisten glauben, ein Krieg könnte über die gesteigerte Nachfrage den müden Wirtschaftsmotor ankurbeln, malen viele Analysten und Unternehmer ein eher düsteres Bild. Je nach Kampf- und Stationierungsdauer könnte eine Invasion 200 Milliarden US-Dollar kosten, die die USA bei einem Alleingang auch allein berappen müssten. Doch schon jetzt leidet der Haushalt unter einem Defizit, das auf Jahre nicht abgebaut werden kann. Etliche Bundesstaaten stehen vor dem Bankrott. Die Streichung sozialer und ökologischer Programme wäre die Folge. Vor kurzem sprach sich eine Gruppe republikanischer Geschäftsleute im Wall Street Journal gegen einen Krieg aus.

Dass mit solch einer Stimmung im Rücken die Bush-Regierung einen Krieg wagt, darf bezweifelt werden. Für Zumes ist die Summe aller gesellschaftlichen Strömungen, die gegen einen Krieg sind, mächtiger als die Anti-Vietnamkrieg-Bewegung Ende der Sechzigerjahre. Sie entfalte bereits jetzt einen politischen Druck, „obwohl wir noch gar nicht im Krieg sind“.