Reanimation des Systems

Weniger das 1:1 gegen Frankfurt macht St. Pauli neuen Mut. Vielmehr lässt die neue taktische Ordnung selbst die Spieler aufblühen, von denen Trainer Gerber selbst kaum glaubte, dass sie ihre Profitauglichkeit noch zeigen könnten

Nach dem Spiel war es am Millerntor mal wieder soweit. Fragen des Herzens fanden schneller ihren Weg auf die Pressekonferenz, als die zum Verständnis der vorgetragenen Darbietung zwischen dem Tabellenletzten St. Pauli und Frankfurt. „Herr Reimann, glauben sie, dass St. Pauli den Abstieg verhindern kann?“ lautete die Frage an den Trainer der Frankfurter Eintracht. Eine Frage, die nicht nur die Grenzen der Professionalität um eine emotionale Komponente erweiterte, sondern zu Anfang der Rückrunde, einem 1:1-Unentschieden und überhaupt unbeantwortbar bleibt. „Wissen Sie, ich habe diese St. Pauli-Mannschaft zum ersten Mal gesehen. Und ich glaube, der Franz auch“, entgegnete Reimann, der für Freunde der Emotionen anzufügen wusste, dass es „vielleicht ja mal wieder ein Wunder gibt“. Der ehemalige St. Pauli-Trainer ist klug genug, seinen ehemaligen Weggefährten am Millerntor nicht voreilig die Absolution gegen den Abstieg zu erteilen. Franz Gerber lächelte verlegen und nickte mit dem Kopf. Ein Nicken, welches die ersten guten Ansätze des FC St. Pauli im neuen Jahr mehr bestätigte, als jedes weitere Wort.

Die Mixtur aus Neuzugängen wie Torwart Heinz Müller, und den beiden Mittelfeldspielern Babacar N‘Diaye und Fabian Gerber sowie Spielern wie Torsten Traub, Jens Rasiejewski und Marco Gruszka die in der Hinrunde kurz vor der Rotation auf die Auswechselbank standen, gab dem abgeschlagenen Zweitligaletzten den Esprit, den Gerber „als relativ guten Anfang bezeichnete.

Doch ganz so leicht wie die letztlich gute Stimmung vermuten ließe, war der Punktgewinn gegen den Tabellenzweiten nicht realisiert worden. Da half auch die besondere Anfeuerung der nach wie vor zahlreich erschienenen Fans zunächst nichts. Zwar forderten sie mit Hilfe eines Flugblattes die Wiederbelebung des gefürchteten „Millerntor Roar“, um die letzte Hoffnung auf den Klassenerhalt zu nähren, doch ihr Team geriet wiederholt als Erstes in Rückstand. Der agile Rasiejewski beging zwanzig Meter vom Tor entfernt ein taktisches Foul und brachte den Frankfurtern einen Freistoß aus halbrechter Position ein. St. Pauli-Keeper Heinz Müller dirigierte ordnungsgemäß drei Mann in die Mauer, doch drehte sich Nico Patschinski so ungeschickt ein, dass Ervin Skela rechts an der Mauer vorbei in das kurze Eck zirkeln konnte. „Es war mal wieder ein dummes Gegentor, welches uns allerdings erstmals nicht aus dem Rhythmus gebracht hat“, beschrieb Franz Gerber die Stimmung nach dem Tor. Zwar kam es immer wieder zu leichten Abspielfehlern von Spielern wie Yakubu Adamu und Traub, doch besonders dieser bewies als Manndecker eine solide Leistung, da die gefürchteten Frankfurter Stürmer Beierle und Kryszalowicz kaum Torchancen herausarbeiten konnten. Der nach einiger Kritik erfreulich aufspielende Marco Gruszka ackerte im defensiven Mittelfeld stetig nach hinten, unterstützte den neuen wie fehlerfreien Libero Rasiejewski und konnte durch seine Grundschnelligkeit auch nach vorne einige Akzente setzen. Über rechts sorgte N‘Diaye für die Wiederbelebung der rechten Außenbahn, während es zentral (Alex Meier) wie über links (Fabian Gerber) noch lebendiger werden sollte, um das später von den Fans angestimmte „Niemand siegt am Millerntor“ wahr machen zu können.

„Es ist unglaublich welcher Druck vor dem Spiel auf uns lastete“, erklärte Fabian Gerber auch einige Aussetzer. Besonders die Stürmer Yang und Patschinski, dessen uneingeschränktes Selbstbewusstsein aus vergangenen Zeiten die einzige Legitimation für seine Aufstellung sein dürfte, waren im Spiel St. Paulis kaum vorhanden. Zwar bemühten sich alle Spieler und boten den „Zuschauern endlich wieder eine St. Pauli-Mannschaft, die gekämpft hat“, wie es Franz Gerber sah, dennoch blieben Torszenen rar. „Immerhin haben wir es geschafft nach dem Rückstand unsere Ordnung nicht zu verlieren und konstant weiter nach vorne zu spielen“, lobte Holger Stanislawski die neue Systemhörigkeit.

Dennoch dauerte es lange bis der redlich verdiente Punkt am Millerntor eingefangen wurde. In der 91. Minute schlenzte Rasiejewski einen Freistoss an den Innenpfosten der Frankfurter, woraufhin der Ball seinen Weg auf den Fuß von Fabian Gerber fand. 1:1 nach endlosen Pleiten, endlich das Glück, was so lange fehlte und neu geschöpfter Mut, der sich so kurz vor Schluss leicht für das Spiel gegen Ahlen konservieren lassen sollte. Denn am kommenden Sonntag geht es gegen den direkten Mitabstiegskandidaten. „Wir haben alles gegeben, also ist es verdient.“ Gilt Babacar N‘Diayes Einschätzung auch für den weiteren Saisonverlauf, könnten die Halbtoten vom Millerntor den Klassenverbleib erreichen. OKE GÖTTLICH