Neonazis drehen den Spieß um

Rechte stilisieren sich als Opfer: Morgen steht taz-Mitarbeiter und Neonazi-Kenner nach Anzeige der Rechten vorm Amtsgericht. Die Staatsanwaltschaft beharrt auf dem Prozess, obwohl im Vorfeld alles für eine Einstellung des Verfahrens gesprochen hat

von PETER MÜLLER

Bei den Sicherheitsbehörden herrscht für morgen früh Alarmstimmung: Im Verfahren vor dem Amtsgericht Hamburg im Strafjustizgebäude werden militante Neonazis erwartet. Auf der anderen Seite werden wohl auch Antifas dem Verfahren beiwohnen. Angeklagt ist taz-Autor und Neonazi-Kenner Andreas Speit. Die Anklage wirft Speit “gefährliche Körperverletzung“ vor, er soll im Verlauf einer Kundgebung vor der Innenbehörde den mehrfach verurteilten Neonazi Peter Borchert angegriffen haben. Die Staatsanwaltschaft beharrt auf dem Prozess, obwohl alles für eine Einstellung des Verfahrens im Vorfeld sprach.

Die Staatsanwaltschaft bestreitet, politische Order erhalten zu haben, das Verfahren zu betreiben, um gegen einen missliebigen Journalisten ein Exempel zu statuieren. „Bei uns gibt es keine Weisungen“, betont Sprecher Rüdiger Bagger. Fakt ist jedoch: Trotz mehrerer Aufforderungen aus Justizkreisen ließ Staatsanwältin Simone Rieckert nicht mit sich handeln, die Sache auf unspektakulärem Weg beizulegen.

So geht es morgen früh um einen angeblichen Vorgang, für den es lediglich vermeintliche Zeugen aus der rechten Szene gibt. Auch die Polizei hatte nichts von dem Vorfall gesehen, obwohl mehrere Beamte vor Ort waren. Stattdessen liegen widersprüchliche Angaben von Neonazis vor, welche durch Polizeivideos widerlegt werden.

Die Strafanzeige hat der Hamburger Neonazi Stefan Ströbel gestellt. Prozesse, Verfahren und Anzeigen dieser Art – so unsinnig sie auch sind – haben Tradition. Sie sind Bestandteil der Anti-Antifa-Arbeit der militanten Rechten, um Namen, Daten und Strukturen von Nazi-Gegnern zu erfassen. Aber auch um Menschen einzuschüchtern. Schon die Neonazistin Thekla Kosche versuchte vor zwei Jahren, mit einem Verfahren gegen Speit Informationen über ihn zu gewinnen, wie es nach dem gescheiterten Verfahren auf einer Naziwebseite zu lesen war.

Die aktuelle Verhandlung am morgigen Tag dreht sich um einen Aufmarsch der Rechten durch die Hamburger City vom 17. Februar 2001. Vor der Innenbehörde am Johanniswall hielten die Neonazis eine Kundgebung ab. Nachdem ein Gegendemonstrant ein rechtes Transparent zu Boden gerissen hatte und es zu einem Handgemenge kam. nutzten einige Rechtsradikale die Situation, um gezielt JournalistInnen anzugreifen. Mehreren Fotografen, die sich in der Fußgänger-Unterführung zum Bezirksamt Mitte aufgehalten hatten – wurde gegen Kameras geschlagen, Journalisten wurden bespuckt und attackiert. Speit wurde in dieser Situation von Neonazis mit einer Fahnenstange angriffen, konnte den Schlag allerdings abwehren und die Stange zu Boden werfen. Dabei erlitt er eine Handverletzung.

Unmittelbar danach berichte Speit seinen taz-Kollegen vor Ort, als er sich die schmerzende rechte Hand hielt, „dass ein Nazi mit der Fahnenstange auf mich losgegangen ist“ und er den Angriff abwehren konnte. Auf Anraten der Kollegn suchte er noch am Nachmittag die Notfallambulanz auf.

Von daher ist sich Speit überhaupt keiner Schuld bewusst. Eine Einstellung des Verfahrens gegen eine Zahlung von 500 Euro lehnten er und seine Anwältin Ursula Ehrhardt daher auch kategorisch ab. Lange passierte nichts. Bis dem Journalisten der Strafbefehl von 3500 Euro ins Haus flatterte. Und nun muss verhandelt werden.

Prozesstermin: Strafjustizgebäude, Saal 292, Di., 9.30 Uhr