„Der Schnäppchenjäger ist nur ein Motiv“

Für den Soziologen Dominik Schrage ist klar: Schlussverkauf ist ein echtes Ritual. Wird er abgeschafft, kann nur das Feilschen vor der Ramsch-Routine retten. Die Jagd auf die Wühltische macht er nicht mit, weil das Beste längst weg ist

taz: Freuen Sie sich schon auf den Winterschlussverkauf?

Dominik Schrage: Nein, nicht wirklich. Ich gehe nicht einkaufen, nur weil Schlussverkauf ist. Man muss schließlich auch Zeit dafür haben. Außerdem fängt der Ausverkauf ja schon vorher an, und zu Beginn des WSV gibt es viele gute Sachen nicht mehr. Den Massenansturm auf die Wühltische vermeide ich eher.

Gibt es eine Kultur des Ram–schens, der Schnäppchen in Deutschland?

Da müsste man sicher erst einen internationalen Vergleich anstellen. Auf jeden Fall ist der WSV eine sehr deutsche Einrichtung, und die Werbung damit spielt bei uns eine große Rolle. Entsprechende Slogans tragen dazu bei, dass der Zeitraum des WSV selbst als Kaufanreiz eingesetzt wird. Mit der Änderung des Rabattgesetzes scheinen die Billigangebote allerdings geradezu alltäglich zu werden. Vielleicht übernimmt das Schnäppchen im Zuge dessen sogar die Rolle von Luxus oder Qualität als Leitvorstellungen des Konsums? Keine tolle Vorstellung.

Die Leute fiebern trotzdem immer dem nächsten Schlussverkauf entgegen – warum?

Also zunächst würde ich mal unterscheiden zwischen Leuten, die bei bestimmten Anschaffungen bis zum WSV warten, und denen, die vor allem der Schnäppchen wegen losziehen. Und der andere wichtige Punkt ist, inwiefern tatsächlich von Fiebern gesprochen werden kann. Fiebern die wirklich? Oder ist der fiebernde Schnäppchenjäger ein Motiv, das dem Schlussverkauf erst Bedeutung gibt? In der Werbung genauso wie in den Medien.

Dann ist der Schlussverkauf also kein Ritual?

Nun, im Sinne des immer Wiederkehrenden könnte man schon von einem Ritual sprechen. Die Schlussverkäufe sind bisher fester Bestandteil unserer Konsumkultur gewesen. Aber jetzt fällt ja gerade die zeitliche Begrenzung der Schnäppchenjagd weg. Das Ritualisierte, also auch restriktiv Beschränkte und deshalb Besondere, wird alltäglich. Sonderangebote gibt es das ganze Jahr, nicht mehr nur zweimal zwei Wochen pro Jahr.

Vom Ritual zur Routine also. Was ändert sich denn damit an der Konsumkultur, wenn es die Rabatte des Schlussverkaufs ab jetzt das ganze Jahr über gibt?

Ob die Rabatte tatsächlich die gleichen bleiben? Na ja. Aber zunächst einmal fallen die Ausnahmesituationen weg, es wird zur Regel. Was uns das neue Rabattgesetz gebracht hat, hat mit Routine im mechanischen Sinne nichts zu tun. Viele werben schließlich inzwischen damit, dass alle Preise verhandelbar seien. Und Feilschen ist nicht in Routinen aufzulösen. Im Gegenteil: Es erfordert Geistesgegenwart und Geschick, ist also eine Aufforderung zu aktivem Handeln und somit zur Reflexion. Kann ich da noch was rausholen? Was muss ich machen, um es noch billiger zu bekommen? Und nicht zuletzt: Hätte ich es noch billiger kriegen können? Ein Ritual hingegen schließt Reflexion völlig aus. Das heißt letztendlich: Ohne Festpreis und WSV wird der Kaufakt selbst flexibilisiert.

Was war denn Ihr letztes Schnäppchen?

Also so würde ich es nicht nennen, ich würde mich nicht als Schnäppchenjäger bezeichnen. Ich habe bei Dingen zugeschlagen, die verhältnismäßig günstig waren. Also Angebote, bei denen ich dachte: Oh, da sind sie schon mit dem Preis runtergegangen. So habe ich mir zum Beispiel vor ein paar Wochen eine runtergesetzte Winterjacke gekauft. Natürlich mit dem Wissen, dass zum WSV die qualitativ guten Sachen schon weg sein würden.

INTERVIEW: ANNE HAEMING

Dominik Schrage, 34, ist Soziologe, wohnt in Berlin und lehrt an der Uni Dresden. Im Moment forscht er zur Kultursoziologie des Konsums.