Wie im Karussell

Im Finale gegen Andre Agassi ist Rainer Schüttler chancenlos. Was bleibt, sind „zwei geniale Wochen“ – und eine ganze Menge neuer Freunde

aus Melbourne DORIS HENKEL

Als er so dasaß mit gesenktem Kopf unterm Sonnenschirm, die Arme vor sich schlapp aufs Handtuch gelegt, sah er aus, als brauche er Trost. Vor seinen Augen wurde das Podium für die Siegerehrung aufgebaut, ein paar Meter rechts von ihm thronte Andre Agassi in aller Glückseligkeit, und der Unterschied zwischen Sieger und Besiegtem, zwischen Andre Agassi, dem Herrscher im Melbourne Park, und Rainer Schüttler, dem desillusionierten Debütanten, war nie größer als in diesem Moment. Aber als sich die beiden ein paar Augenblicke später von ihren Stühlen erhoben und zum Podium hinübergingen, war das Schlimmste vorbei. Und was danach folgte bei der Zeremonie, war der stimmungsvolle Abschluss einer Zeit, von der Schüttler sagt: „Das waren zwei geniale Wochen.“

Er hatte sich fraglos einen besseren Auftritt im Finale gewünscht. Denn in nur 76 Minuten 2:6, 2:6, 1:6 zu verlieren, das ist kein Vergnügen, selbst wenn man die Extraklasse des Gegners bedenkt. Das Dach war wieder offen, das Themometer zeigte nur noch 23 Grad an und nicht mehr 44 wie am Tag zuvor, aber es lief von Anfang an so ziemlich alles schief. Agassi tat das, was man mit einem Neuling tut, um zu sehen, wie leicht man ihn einschüchtern kann: Er knallte drauflos – und führte nach ein paar zaghaften und unüberlegten Bällen von Schüttler schon nach wenigen Minuten 3:0.

Und obwohl er in der nächsten halben Stunde stärker wurde, immer mal wieder einen guten Punkt oder auch ein Spiel gewann, kam nur in ganz wenigen Situationen das Gefühl auf, der Favorit könne in Gefahr geraten. Wie sich das anfühlt, gegen einen Agassi in dieser Form zu spielen, beschrieb Schüttler so: „Der geht volles Rohr auf jeden Ball drauf, und die schlagen einen Meter vor der Grundlinie ein. Du rennst von rechts nach links, und irgendwann kommst du dir vor wie in einem Karussell.“

Der erste Satz war nach genau einer halben Stunde vorbei, im zweiten ging es, nach vergleichsweise ausgeglichenem Beginn, noch schneller, und damit war der Bann gebrochen. Die Leute im Publikum spürten, dass der Mann in Rot da unten Unterstützung brauchte, sie taten ihr Bestes, doch es half nicht viel. Im Ärger über die eigenen Fehler und die damit verbundene Hilflosigkeit verlor Schüttler schließlich auch die Konzentration, und am Ende tat es richtig weh. Bis zum ersten Matchball vergingen kaum 20 Minuten im dritten Satz, den ersten und einen weiteren wehrte er noch ab, doch mit einem satten Vorhand-Schuss beim dritten machte Agassi dem ungleichen Spiel ein Ende.

Rainer Schüttler schlich zum Stuhl, und es wäre vielleicht der richtige Moment gewesen, um ihm zu sagen, dass schon andere ein Endspiel an dieser Stelle ähnlich klar verloren haben. Doch der härteste Kritiker kam hinterher aus den eigenen Reihen. Coach Dirk Hordorff meinte: „Man muss ein Konzept haben in so einem Spiel, und das hatte er nicht. Ich werde ihm zu dem Turnier gratulieren, aber ich glaube, er ist nicht froh, wenn ich ihm sage: Toll, dass du fünf Spiele gemacht hast.“ Agassi dagegen tat alles, um jenen Schaden, den er mit seinen Schlägen angestellt hatte, mit Worten zu heilen. Auf dem Podium erklärte er dem Publikum mit Blick auf Schüttler: „Wir reisen durch die ganze Welt, aber ich versichere Ihnen, dass keiner härter arbeitet als dieser Mann hier.“

Und es stimmt ja auch, was der Präsident des Australischen Tennis-Verbandes, Geoff Pollard, verkündete, Schüttler habe sich in diesen zwei Wochen von Australien und sicher auch zu Hause in Deutschland eine Menge Freunde gemacht. Als er das sagte, klatschte auch der Amtskollege aus den Reihen des DTB heftig Beifall. Sonntagmorgen um 5.20 Uhr war Georg von Waldenfels in Melbourne gelandet, um mit seiner Anwesenheit zu dokumentieren, wie stolz der DTB auf Schüttler sei. Dienstagnachmittag fliegt er wieder zurück, und auch wenn er dann alles in allem mehr als 40 Stunden unterwegs gewesen sein wird für ein Spiel von 76 Minuten Dauer, meinte er: „Das war die Anstrengung wert.“

Rainer Schüttler schwebte schon am Sonntagabend aus Melbourne davon, als nach zwei Wochen der erste Regen fiel. Wenn schöne Erinnerungen Gewicht besäßen, dann hätte sein Gepäck reichlich Übergewicht gehabt. Als es vorbei war, war er, bei aller Enttäuschung über das verlorene Finale, stolz und glücklich über einen neuen Abschnitt in seiner Karriere. Und in seinem Leben.