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Der falsche Schweizer

Smalltalk im Kiez

Ich fühl mich wohl in meinem Kokon. Die Getränke aus dem Coffeeshop schmecken jeden Tag gleich, in meinem Supermarkt kenne ich mich besser aus als die meisten Angestellten und auch sonst gibt es wenig ungewollte Überraschungen in meinem Kiez. Der Kioskbesitzer weiß, dass er mir diverse Tageszeitungen bis um 17 Uhr aufheben muss, und wenn ich Samstagmorgens schlafen gehe und einmal vergesse, mein vorgezogenes Katerfrühstück bei dem Fischhändler meines Vertrauens einzunehmen, werde ich nächstes Mal gefragt, ob ich im Urlaub war. Fast jeden Lebensmittelverkäufer kenne ich persönlich und habe mit jedem eine andere Art und Weise der Kommunikation entwickelt. Und alle wissen, dass ich kein Freund des ausgedehnten Schwachsinn-Smalltalks bin.

Nun hat vor wenigen Monaten zwei Häuser weiter ein neuer Bäcker eröffnet. Die angeblich Schweizer Bäckerei wird von einem österreichischen Türken geleitet, der es nicht lassen kann, jedem seiner Kunden eine Privatvorstellung zu geben. Themen gibt es anscheinend zuhauf, selten hab ich eine derartige Zurschaustellung von falscher Freundlichkeit, geheucheltem Interesse und schauspielerischem Unvermögen zu Gesicht bekommen. Mit dem Bauarbeiter lästert er über das „Schickimicki- und Reichenpack“, um am nächsten Tag mit meinem millionenschweren Nachbarn über den ständigen Baulärm zu meckern. Mir erklärte er letztens, dass „diese Künstler“ hier alle Wohnungen kaufen und zu nichts zu gebrauchen seien. Außer natürlich zum Brötchenkaufen. Was tun? Ich überlege noch, ob ich mir das nächste Mal riesige Kopfhörer aufsetze, lieber bis zum Biobäcker laufe oder ihn eines Tages vor allen demaskiere. JURI STERNBURG

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