Deutsch kaputt

Tamer Yigit und Branka Prlic bringen mit ihrem „Warngedicht“ im HAU ein Stück über vier migrantische Jugendliche auf die Bühne

Tony hat es nun schon eine ganze Weile versucht. „Eh, hey, Schlampe, ja jetzt guckst du, komm doch mal rüber“, aber irgendwie ziehen seine Sprüche nicht. Er fragt den smarten Talu um Rat und der sagt ihm: „Du musst dich ändern. Rede über Theater, Kunst und Kino, neue Filme. Steck dir ein Buch in die Tasche und sag, dass du Bertolt Brecht liebst. Fahr Fahrrad und mach auf Öko.“ Es ist ziemlich schnell klar, dass das zu viel für Tony ist, der sowieso schon dauernd unter Stress steht. „Buch in die Tasche, ich kann ja nicht mal lesen“, sagt er.

Auch bei Knut kommt Talu nicht so gut an mit seinen Ratschlägen. „Hör auf, mich zu verbessern“, rastet Knut aus. „Mein Deutsch bleibt kaputt. Ich fühl mich besser so“, brüllt er den anderen an und brüllt es so lange, bis es richtig wehtut. Anfangs ist diese Szene noch komisch, denn Knut gibt auch gerne mal den Neandertaler, mokiert sich über die Langsamkeit seines Nachdenkens über Grammatik und strahlt dabei doch, klein und rundlich, wie er ist, eben doch ein Kerl zum Knuddeln, vor allem Gutmütigkeit aus. Warum es trotzdem schwer sein kann, ihn gern zu haben, ahnt er und leidet an der eigenen Trotzigkeit. Denn die macht ihn auch einsam.

Die Bilder, die die drei Jungs und Alima, das „Ghettomädchen“, von sich auf die Bühne stellen im HAU 3, sind geformt von einer Suche nach sich selbst und von inneren Kämpfen. Es gibt äußere Gegner: Schule, Lehrer, Eltern, wie das eben so ist mit sechzehn Jahren. Schon etwas schwerer ist der Umgang mit den Klischees, die ihnen, den Deutschtürken aus Kreuzberger Schulen, Hauptschule und Gymnasium, entgegengebracht werden. Talu, der „Waldorfficker“, hat sich entschlossen, ihnen nicht zu entsprechen und Bildung als seine Chance zu begreifen, aber Angst vor der Zukunft hat auch er. Alima nimmt die Bilder an, dreht und wendet sie ins Glamouröse, eine Art Heroine des Untergrunds, bis sie der Blues einholt, der Blues von der vergeblichen Suche nach einem Job. Sie rappt „Egal wo ich hinkomme, ich werde nicht gebraucht. Ich glaube schon selber, ich bin nichts wert.“

Womöglich klingt das schnulzig, aber darin, wie Tamer Yigit, als Regisseur und als Musiker, den vier Schülern beisteht, liegt eine große reflektierende und formale Kraft. Allein wie er und ein zweiter Gitarrist Alina bei ihrem Song begleiten und mit ihren Körpern die zierliche Gestalt abdecken, formt ein anrührendes Bild. Nicht nur wegen dem, was das Mädchen singt, sondern auch, weil aus dieser Szene das Vertrauen spricht, das sich zwischen dem Team aufgebaut hat.

Seit April dieses Jahres hat Tamer Yigit für dieses Stück, sein drittes am HAU, mit Schülern gearbeitet und zusammen mit Branka Prlic, seiner Lebensgefährtin, den Text entwickelt. Der Text nimmt den Duktus der Sprache der Jugendlichen auf, zum Beispiel Tonis obstinate Wiederholungsschlaufen, mit dem er jeden in die Erschöpfung treibt, aber er setzt dazwischen auch viele antinaturalistische, fast abstrakte Elemente. Wie eine Wand aus Sprache baut sich zum Beispiel die vierstimmige Deklination englischer Verben auf, die sich in der Tonhöhe steigert und steigert und besser, als jedes Stöhnen über die Lehrer, transportiert, wie eingesperrt und ausgeschlossen vom Leben sie sich im Unterricht fühlen können.

Die kleinen Geräusche der zerknallenden Blasen aus Plastikfolie, die Tony in seiner Ungeduld zusammendreht, die Zeit, die Knut sich manchmal für einen Satz nimmt, die Dosierung von Stille und Lärm: Nicht zuletzt liegt in diesem Timing die poetische Qualität des Stücks begründet. Es nennt sich „Warngedicht“, und wovor es warnt, ist unschwer zu erkennen: dass die Ängste vor der Abwertung wahr werden könnten, die den Schülern im Nacken sitzt und ihnen als Figur der Gegenwehr nur den Krieger anbietet, wie es im letzten, abschließenden Gedicht ihres Stückes heißt. KATRIN BETTINA MÜLLER

Wieder am 4. und 5. Oktober, 20 Uhr, im HAU 3