Wechselvolle Zeiten

Mit den Weltcup-Rennen auf Sylt endet an diesem Wochenende die Surf-Tour. Traditionell haben die Sportler auf der Insel mit rauem Wetter zu kämpfen, aber das ist nicht ihre größte Sorge: Sie sind als Trendsport in die Jahre gekommen

AUS WESTERLAND JÜRN KRUSE

Klaas Vogets braungebrannte Hände sind rissig. Abgekämpft schlurft der 29-Jährige über die Promenade des Sylter Surf-Weltcups. Weil der dieses Jahr zum 25. Mal stattfindet, darf die Nordseeinsel den Abschluss der Surf-Tour ausrichten: Am Sonntag werden hier die Weltmeister gekürt. Drei Wettfahrten hat Voget, der Profi-Surfer, an diesem Tag hinter sich. Dabei sah es lange Zeit nicht danach aus, als ob überhaupt ein Surfer aufs Meer hinausdürfe. Am Morgen war es grau. Überall. Der Himmel, die Wolken, das Meer. Und es regnete wie aus Eimern.

Normalerweise bringen derlei Fronten auch Wind mit an die Küste. Nur heute nicht. Zunächst jedenfalls. Das Skippers Meeting, die Konferenz von Offiziellen und Fahrern, beschließt: „Kein Start.“ So ist der Strand am Vormittag wie ausgestorben. Eine Frau führt ihren Hund spazieren. Sie will „sich mal richtig durchpusten“ lassen. Dafür reicht der Wind anscheinend.

Derweil sitzt Voget angespannt im „Sailor’s Club“. Der Wahl-Hamburger schaut permanent auf seinem Notebook, wie sich der Wind entwickelt. Über ihm sirren Papierflieger durch die Luft. Die Stimmung unter den anderen Surfern im „Sailor’s Club“ ist wie in der großen Pause im Klassenzimmer. Voget nennt es eine „familiäre Atmosphäre“. Feixend vertreibt man sich die Zeit bis zur nächsten ernstzunehmenden Ansage im lokalen Weltcup-Radio. Plötzlich – mitten im Gespräch – springt Voget auf. Der Wind kommt. „Wir reden später weiter“, sagt er und läuft davon.

Voget muss jetzt raus aus den dicken Klamotten, in denen er und die anderen Wellenreiter wie Snowboarder aussehen. Warmhalten ist das Gebot der Pausen. Das Thermometer zeigt nur knapp zweistellige Gradzahlen.

Der Wind reicht für den Slalom – der kann auch bei geringen Stärken gefahren werden. Im Zickzack-Kurs sieht man die Segel über das Meer flitzen. Es ist wie beim Pferderennen: Würde einem der Kommentator nicht erzählen, wer führt, man könnte kaum folgen. Doch der Wind ist zu unbeständig und Voget muss wieder raus aus dem Neoprenanzug – ohne Renneinsatz. „So verrückt wie heute habe ich es selten erlebt“, wird er später sagen, als seine Hände schon zerschunden sind.

Es regnet ohne Unterlass. Trotz der rauen Verhältnisse sind alle Größen des Sports da. „Das Setup ist einfach riesig hier“, sagt Voget. Gemeint sind die vielen Zelte, die Aussteller, die Sponsoren und die Zuschauer, die nun allmählich mehr werden. Sie lassen die Westerländer Promenade wie ein Volksfest wirken, auf dem auch gesurft wird. „Wenn man aus dem Wasser kommt, stürzen sich drei Fotografen auf einen“, schwärmt Voget, „und man wird sogar um Autogramme gebeten.“

Die meisten Autogramme muss Björn Dunkerbeck geben. Er ist auch heute noch der Star im Surf-Zirkus. Der in Dänemark geborene, mit einem niederländischen Pass ausgestattete und für die Schweiz startende Surfer ist der erfolgreichste Einzelsportler überhaupt. 35 Weltmeistertitel hat der bald 40-Jährige gesammelt. Das brachte ihm Popularität über die Surf-Grenzen hinaus und in den Neunzigerjahren sogar einen Brotaufstrich-Werbespot ein. Damals war die Surfwelt noch in Ordnung: „Dunki“ grinste in der Werbung und in der ARD lief die Surfserie „Gegen den Wind“. „Doch seit zehn Jahren schrumpft der Surfmarkt“, konstatiert Voget. „Das Windsurfen war die erste Trendsportart und hatte den gesamten Kuchen für sich“, analysiert er. „Dann wuchsen andere Funsportarten: BMX, Skateboarding, Inlineskating.“ Der Surfsport musste lernen zu teilen. Die ARD-Serie wurde 1997 abgesetzt.

„Wir brauchen einen deutschen Fahrer, der es ganz nach vorne schafft“, hofft Voget auf einen ähnlichen Effekt, wie ihn Martin Schmitt für das Skispringen bewirkten konnte. Man merkt dem Weltranglisten-14. an, dass er mehr als nur seinen eigenen Werdegang im Blick hat. Er ist ein Planer: Mit anderen deutschen Surfern gründete er das „Windsurfing Team Germany“ – zusammen will man versuchen, den Sport wieder dahin zu bekommen, wo er einst war. Außerdem koordiniert Voget weltweit die Material-Tests seines Ausrüsters, holt Erfahrungen von anderen Surfern ein und entwickelt Surfbretter mit.

Es ist bereits später Nachmittag, der Wind frischt auf und peitscht nun mächtig gegen die Küste: mit Stärke acht, dazu unablässiger Regen. Voget kann jetzt beweisen, wie gut seine Entwicklungen sind. Er fährt zwei Slalom-Läufe – dann scheidet er aus. Kurz darauf folgt seine Paradedisziplin, das Waveriding. Vor einer gespenstisch-grauen Wand aus Wolken springt Voget mit Rückwartssalti über die Wellen in die nächste Runde. Fast zwei Stunden steht er bei „Weltuntergangswetter“, wie es der Weltcup-Kommentator ausdrückt, auf dem Brett. Dann ist Feierabend.

Ein viertes und letztes Mal entschlüpft Voget dem engen Neoprenanzug. Normalerweise gehen die Surfer jetzt feiern. Ihr „Sailor’s Club“ liegt schließlich schon im „Party Zelt“. Doch Voget will sich schonen. Er „will was reißen“ auf Sylt. Für sich und für die Popularität des Sports. Um das zu erreichen, hält er es jenseits des Sports an diesem Tag wie der Sieger der Slalom-Wettfahrt, Josh Angulo von den Kapverdischen Inseln: „Wife, kids, dinner, bed.“ Funsport klingt anders.