Qualität durch Qualifikation

Auf dem Bau ist meist Eile geboten – häufig auf Kosten der Gesundheit der Bauarbeiter. Allein 2006 verunglückten 146 von ihnen tödlich. Die „Volkshochschule für Bauarbeiter“ will das durch ein Angebot von Weiterbildungsmaßnahmen ändern

VON KRISTINA SIMONS

„Auf Baustellen herrscht ein ungeheurer Zeitdruck, selbst Sicherheitsmaßnahmen kommen da oft zu kurz“, beschwert sich Rudi Clemens, Betriebsratsvorsitzender der Frauenrath Bauunternehmung in Heinsberg.

Gleichzeitig seien viele Bauarbeiter, so Clemens, gar nicht genügend ausgebildet. „Als Baggerfahrer braucht man keinerlei Qualifikationen, das kann im Grunde jeder machen.“ Über Unfälle brauche man sich da nicht zu wundern. Diese enden in vielen Fällen leider tödlich: Allein 2006 starben in Deutschland 141 Arbeiter auf Baustellen und damit ein Viertel mehr als noch im Jahr davor.

„Was nützen die modernsten Fertiger und Walzen, wenn das Personal nicht auf dem neuesten Stand ist?“, ärgert sich Clemens. Bauarbeiter sollten sich um ihres eigenen Lebens und ihrer Gesundheit willen mit den Sicherheitsbestimmungen und der Gefahrstoffverordnung auskennen, Baumaschinenführer müssten lernen, worauf sie besonders zu achten hätten. „Lkw-Fahrer sind ja schließlich auch verpflichtet, eine besondere Führerscheinprüfung zu machen.“

Qualität habe auch etwas mit Qualifikation zu tun, so Clemens. Im Jahr 2003 hat er deshalb die Arbeitsgemeinschaft Netzwerk Gesundheit und Qualifikation ins Leben gerufen. Clemens spricht gerne von einer „Volkshochschule für Bauarbeiter“, denn diese sonst schwer erreichbare Berufsgruppe kann hier für wenig Geld praxisorientierte Weiterbildungsseminare besuchen. Durchschnittlich 35 Euro kosten Clemens’ Seminare. Er kann sie so günstig anbieten, weil die Referenten der Berufsgenossenschaften oder des Amts für Arbeitsschutz nicht extra bezahlt werden müssen und für die Teilnehmer nur die Kosten für Veranstaltungsraum und Essen fällig werden.

Clemens’ Bemühungen um die Qualifizierung der Bauarbeiter sind längst überfällig, denn Gesundheitsförderung und lebenslanges Lernen erreichten die Beschäftigten des Baugewerbes bislang so gut wie gar nicht. „Obwohl Bauunternehmen eigentlich verpflichtet sind, ihre Beschäftigten für Weiterbildungsmöglichkeiten freizustellen, machen das insbesondere kleine Betriebe selten“, so Clemens. „Die können es sich einfach nicht erlauben, Leute dafür von ihren Baustellen abzuziehen.“ Daher bietet Clemens seine Seminare samstags und teilweise auch abends von 18 bis 20 Uhr an. Die Betriebe übernehmen die Kosten, und die teilnehmenden Bauarbeiter investieren dafür einen Teil ihrer Freizeit.

Jeder zweite Bauarbeiter sei mit 54 Jahren körperlich kaputt. „Doch die meisten machen sich darüber keine Gedanken und wundern sich dann, dass sie plötzlich mit einer Minirente von 400 Euro dastehen.“ Clemens will sie aufrütteln und ihnen Perspektiven aufzeigen. „Auch die Baubeschäftigten, die oft unter widrigsten Witterungsbedingungen schwere körperliche Arbeit unter enormem Zeitdruck erledigen und hohen Belastungen wie Staub und Lärm ausgesetzt sind, haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und menschengerechte Arbeit.“

Wichtig sind für Clemens Partner wie Berufsgenossenschaften, Krankenkassen, Gewerkschaften oder das Amt für Arbeitsschutz, die als Multiplikatoren tätig sind. „Die gehen zum Beispiel zu den Leuten auf die Baustellen und machen ihnen klar, wie wichtig Weiterbildungen für sie sind.“ Unterstützung bekommt Clemens zudem von der „INQA-Bauen“, die wiederum zur Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) gehört. Die INQA wurde 2002 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales ins Leben gerufen und ist ein Zusammenschluss von Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern, Bund, Ländern, Stiftungen und Unternehmen.

Clemens arbeitet auch eng mit Arbeitgebern, Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, dem Amt für Arbeitsschutz, Betriebsmedizinern, Weiterbildern, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und dem Deutschen Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung zusammen.

Ein erster Erfolg: Für seine Verdienste um den Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern in der Bauwirtschaft erhielt Rudi Clemens Ende 2006 das Bundesverdienstkreuz am Bande.