Gemeinsam gegen Steuerflucht

Weltsozialforum in Porto Alegre dient auch der „Vernetzung“ von Gruppen zum selben Thema. Steuerkonkurrenz kostet arme Länder mehr, als die Entwicklungshilfe bringt

Der US-Vizepräsident hatte bis zur Wahl 44 Firmentöchter in Steuerparadiesen

PORTO ALEGRE taz ■ Man hat sich das ungefähr so vorzustellen: Kapital huscht über den Globus, immer auf der Flucht vor dem Fiskus, immer auf der Suche nach dem angenehmsten Versteck. Steuerflucht ist ein weltweites Problem. Sven Giegold von Attac Deutschland propagiert deshalb auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre „die Vernetzung gegen die Steuerflucht“. In einem Workshop trafen sich am Wochenende Gruppen aus etwa 10 Ländern, die sich mit diesem Thema befassen.

Das weltweite Problem: Die Steuern auf Unternehmensgewinne und Kapital sinken, während Konsum höher besteuert wird und die Sozialabgaben steigen. Gleichzeit leben immer mehr Menschen von Kapitalanlagen. François Gobbe von Kairos Europe nennt ein Beispiel: In Frankreich nahm der Anteil des Einkommens aus Kapital am gesamten Einkommen in den letzten 25 Jahren von 30 auf 40 Prozent zu. „Was wäre die logische Folge? Kapital höher zu besteuern.“ Dass die Regierungen das nicht tun werden, ist den meisten Workshop-Teilnehmern bekannt. Denn: „Es herrscht ein ruinöser Wettbewerb zwischen den Ländern, die niedrigsten Steuern zu haben, um möglichst viel Kapital aus dem Ausland anzulocken“, so Christian Felber von Attac Österreich.

Und Lucy Komisar, eine Teilnehmerin aus den USA, nennt einen weiteren Grund: Die Politiker profitieren oft selbst von den laxen Steuergesetzen. „Das Unternehmen von US-Vizepräsident Dick Cheney hatte bis zur Wahl 44 Töchter in Steuerparadiesen angemeldet“, berichtet Komisar, die als Journalistin viel zu dem Thema recherchiert hat.

Erst letzte Woche haben sich die EU-Minister nach jahrelangem Ringen auf eine europaweite Regelung geeinigt. Doch eine weltweite Einigung, wie sie eigentlich nötig wäre, ist utopisch. Nicht einmal auf dem kleinen Kontinent Europa herrscht Konsens: Einigen Ländern ist ihr Bankgeheimnis wertvoller als die Steuereinnahmen ihrer Nachbarn.

Der Schweiz zum Beispiel. „Die Schweizer sind ganz klar egoistisch“, sagt Bruno Gurtner vom Schweizer Verband der Entwicklungsorganisationen. „Und da hat vor allem der Bankenverband seine Hände im Spiel.“ Die Banken veranstalten regelmäßig Umfragen in der Bevölkerung, „70 Prozent sind demnach immer für das Bankgeheimnis.“ Banken und Regierung brächten kurz vor solchen Stimmungsbarometern stets ihr Totschlagargument: Das Geschäft mit dem Geld sichere in der Schweiz Arbeitsplätze.

Besonders problematisch: In der Schweiz ist es nicht strafbar, das Steuernbezahlen einfach zu „vergessen“. Und solange keine Straftat vorliegt, bleibt das Bankgeheimnis unberührt. Milliardensummen von ausländischen Kapitalflüchtigen, darunter auch von ehemalige Diktatoren aus Afrika und Lateinamerika, lagern daher unbehelligt in der Schweiz – zum Beispiel des ehemaligen Präsidenten Perus, Alberto Fujimori, wie ein peruanischer Workshop-Teilnehmer berichtet.

Was Gurtner besonders erzürnt: Gleichzeitig senken gerade Entwicklungsländeri ihre Kapitalsteuern, weil sie dringend auf Geld aus dem Ausland angewiesen sind. „Die multinationalen Konzerne aus den USA haben in den Entwicklungsländern 1996 nur noch halb so viel Steuern wie 1985 gezahlt“, zitiert der Schweizer eine Studie der britischen Entwicklungsorganisation Oxfam. Insgesamt entgehen den Entwicklungsländern demnach 50 Milliarden Dollar jährlich durch übermäßige Steuerkonkurrenz und Kapitalflucht. Gurtner: „Das ist so viel wie die gesamte Entwicklungshilfe weltweit.“

Die Initiative gegen Steuerflucht will sich in Porto Alegre erst einmal auf gemeinsame Ziele und Wege einigen. Bisher steht fest: „Wir werden zwei Internetseiten mit Informationen anbieten und wir arbeiten an einem Positionspapier mit Vorschlägen zur Bekämpfung der Steuerflucht“, so Giegold. Mit dem Papier wollen die Teilnehmer des Workshops auch an Parlamentarier herantreten. In Großbritannien steht sogar schon ein Termin fest: Im März sollen die Forderungen im Parlament vorgestellt werden.

Das Weltsozialforum wuchs von 20.000 Besuchern im Jahr 2001 auf 100.000 derzeit. Fünf Tage treffen sich Aktivisten aus 150 Ländern. (www.portoalegre2003.org/publique/index06A.htm, zu den Antikriegsdemos siehe Auslandsressort) Wo die etwa 1.500 Veranstaltungen im Detail zu finden sind, weiß vor ort meist kein Mensch. Gerade die Suche nach dem richtigen Saal führt jedoch oft zu ungewollten, aber informativen Begegnungen.

KATHARINA KOUFEN