Richter lassen gern lauschen

Statt Abhöranträge der Staatsanwälte zu prüfen, unterschreiben deutsche Richter umstandslos. Selbst die nachträgliche Aufklärung der Telefonierer unterbleibt meist

BERLIN taz ■ Obwohl das Abhören von Telefongesprächen einen schweren Eingriff in die Privatsphäre darstellt, kann es im Einzelfall notwendig sein. Doch wenn es darum geht, der Polizei die dazu notwendige Erlaubnis zu erteilen, fehlt bei Richtern und Staatsanwälten zumeist „jegliche Sensibilität“ dafür, dass es sich hier um einen Grundrechtseingriff handelt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsprojekt der Universität Bielefeld.

307 Abhöranträge aus den Jahren 1996 bis 1998 wurden dabei unter die Lupe genommen. Lediglich ein einziger wurde komplett abgelehnt. Eigentlich sieht das Gesetz vor, dass die Anträge der Staatsanwaltschaft zuvor durch einen Richter geprüft werden. Nur in Eilfällen, wenn „Gefahr im Verzuge“, aber kein Richter zu erreichen ist, darf der Staatsanwalt die Abhörgenehmigung erteilen. Auch in diesen Fällen, die erstaunlicherweise nur 20 Prozent ausmachen, muss ein Richter den Beschluss innerhalb von drei Tagen bestätigen, sonst muss die Überwachung beendet werden.

Bei der Prüfung soll der Richter darauf achten, dass im Antrag sowohl die dem Verdächtigen vorgeworfenen Straftaten wie auch die konkreten Verdachtsmomente ausreichend begründet sind, und prüfen, ob nicht auch andere, weniger tief greifende Ermittlungsmethoden hinreichende Erfolgsaussichten versprechen. Die Gründe für seine Entscheidung hat er dann in einem Beschluss zu dokumentieren. Diese Pflichten nehmen die Richter, den Bielefelder Forschern zufolge, jedoch „nur unzureichend“ wahr. So werden etwa die Ermittlungsakten oftmals nur in Teilen gelesen und stattdessen die Argumentation der Staatsanwaltschaft übernommen – auch wenn diese unvollständig ist.

Gemessen an den gesetzlichen Vorgaben war somit nur knapp ein Viertel der untersuchten Richterbeschlüsse korrekt. Fast 10 Prozent erfüllten nicht einmal ein einziges der erforderlichen Kriterien. In rund einem Drittel der Fälle schafften es die Richter sogar, die Anträge der Staatsanwaltschaft durch ihre Bearbeitung noch zu verschlechtern. Im Grunde aber ist dies unerheblich, denn die Bereitschaft einen Abhörantrag eigenständig zu bewerten, tendiert gegen null, wenn der Staatsanwalt bei seinem Antrag zugleich einen Beschlussentwurf vorformuliert, der nur noch unterschrieben werden muss. In weit über 90 Prozent der Fälle erhalten Polizei und Staatsanwaltschaft dann die gewünschte Genehmigung. Rund 60 Prozent der Lauschaktionen sind dabei insoweit „erfolgreich“, als anschließend auch Anklage erhoben wird. Ob es hinterher auch zu einer Verurteilung kommt, geht aus der Studie leider nicht hervor.

Ebenso finster wie bei den Abhörgenehmigungen sieht es bei der späteren Information der Belauschten aus. Sie ist gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Aktion beendet ist und nicht besondere Umstände vorliegen, die einer Benachrichtigung entgegenstehen. Lediglich in 3 Prozent der Fälle erfolgte diese Benachrichtigung. „Das vom Gesetzgeber mit dem Richtervorbehalt angestrebte Ziel“, so das Fazit der Bielefelder Forscher, „die Anordnung der Telefonüberwachung durch eine eigenständige richterliche Entscheidung prüfen zu lassen, […] hat sich die Rechtspraxis nicht zu Eigen gemacht.“

OTTO DIEDERICHS