Palin überlebt – und überzeugt ihre Basis

Die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin ist in der Fernsehdebatte mit dem demokratischen Senator Joe Biden nicht untergegangen – das allein schon bedeutet für sie einen Riesenerfolg. Aber auch Biden hat klar gepunktet

AUS GRAND JUNCTION, COLORADO BETTINA GAUS

Die Plastikstühle im großen Saal in der historischen Innenstadt von Grand Junction, Colorado, hätten Platz für etwa 120 Zuschauer geboten. Aber nur etwa 30 Anhänger der republikanischen Partei haben sich eingefunden, um die Fernsehdebatte zwischen Sarah Palin und Joe Biden, den beiden Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten, auf einer großen Leinwand gemeinsam zu verfolgen. Diese allerdings machen ihre kleine Zahl durch großes Engagement wett. Immer wieder applaudieren die Zuschauer begeistert, wenn Sarah Palin das Wort ergreift. Oder sie lachen hämisch über Äußerungen von Joe Biden. Als er über den Unfalltod seiner ersten Frau und seiner Tochter spricht, sind ironische „Ooohs“ in verschiedenen Ecken des Raumes zu hören.

Aus dieser Reaktion dürfte auch Verletzung und Verunsicherung sprechen. Sarah Palin hat sich in Fernsehinterviews mit einigen ungeschickten Bemerkungen und Wissenslücken den Spott zahlreicher politischer Kommentatoren zugezogen. Unübersehbar war deren Vorfreude darauf gewesen, dass die republikanische Gouverneurin sich in der TV-Diskussion mit dem erfahreneren, demokratischen Senator Joe Biden endgültig zur Närrin machen würde.

„Ich finde es kleinlich, sie daran zu messen, ob sie Detailkenntnisse hat“, meint Kriegsveteran Paul Oliver vor Beginn der Diskussion. „Ich liebe sie. Sie ist keine Berufspolitikerin, sondern jemand, der versteht, was es heutzutage bedeutet, eine Hypothek bezahlen zu müssen, Lebensmittel einzukaufen und den Tank eines Autos zu füllen. Also eine von uns.“ Allerdings gibt er zu: „Ich bin ein bisschen besorgt. Ich denke, sie kann von Glück reden, wenn sie heute Abend nicht völlig untergeht.“ Nach der Debatte leuchten die Augen des 61-Jährigen: „Sie hat meine Erwartungen mehr als erfüllt. Sie hat zu mir als Amerikaner gesprochen. Und sie war glaubwürdig darin, dass sie weiß, was der Kampf ums Überleben bedeutet.“

Die Freude ist verständlich. Sarah Palin ist nicht untergegangen in der Diskussion, die alle Themengebiete streifte, ohne bei auch nur einem in die Tiefe zu gehen. Gelegentlich wirkte Palin allerdings, als spiele sie „Trivial Pursuit“ – ein Quiz, bei dem es genügt, Fragen und Antworten auswendig zu lernen. Deutlich wurde das vor allem an zwei Stellen: einmal, als Sarah Palin allzu lange mit ihrer Antwort auf das zögerte, was Joe Biden als den „fundamentalen Unterschied“ zwischen Obama und McCain im Hinblick auf den Irakkrieg bezeichnete – nämlich die Frage nach einem Zeitplan für den Abzug –, und sich dann plötzlich an eine eindrucksvolle Antwort zu erinnern schien, die ihr offenbar jemand aufgeschrieben hatte: „Ihr Plan ist die weiße Flagge der Kapitulation.“ Das zweite Mal, als die fünffache Mutter über schulische Ausbildung sprach, ein Thema, mit dem sie sich auszukennen scheint und das ihr tatsächlich am Herzen liegt. Da schimmerte durch, warum sie bislang durchaus erfolgreich sein konnte – aber auch, wie blass und angelernt ihre sonstigen Antworten klangen.

Neues hatten beide Kandidaten nicht zu sagen. Das ist wenig verwunderlich. Sie mussten schließlich beide darauf achten, die jeweiligen Spitzenkandidaten John McCain und Barack Obama mit ihren Antworten nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Das eindrucksvollste Beispiel für diese Gratwanderung: Ausgerechnet bei der Frage, wie sie zur rechtlichen Regelung der Verhältnisse von homosexuellen Paaren stehen, waren der Liberale und die Konservative plötzlich ein Herz und eine Seele: verfassungsrechtliche Gleichstellung ja, Ehe nein. Die Tatsache, dass der Kampf vor allem um die Wähler der „Mitte“ voll entbrannt ist, hätte kaum eindrucksvoller demonstriert werden können.

Sarah Palin ließ übrigens keinen Zweifel daran, dass sie sich den Regeln der Diskussion nur bedingt zu beugen bereit war. „Ich beantworte die Fragen nicht so, wie die Moderatorin oder der Senator das wünschen“, erklärte sie, als sie zum wiederholten Male – vergeblich – um eine Erklärung dafür gebeten wurde, warum die Deregulierung der Finanzpolitik eine gute Idee sei. „Ich spreche direkt zum amerikanischen Volk.“ Großer Beifall im Saal in Grand Junction.

Wird das reichen? Erste Umfragen sagen, dass beide Kandidaten nach der Debatte an Ansehen gewonnen haben. Colorado ist einer jener US-Staaten, in denen der Ausgang der Wahl nicht feststeht, sondern heiß umkämpft ist. Gegenwärtig liegt Barack Obama – knapp – vorn. „Ich bin ein unabhängiger Wähler“, sagt Dewey Salanivich, der jeden Tag 17 Meilen zu seiner Arbeitsstätte in einem großen Supermarkt trampt. „Aber ich werde dieses Mal demokratisch wählen.“ Die Vorstellung ängstige ihn, dass Sarah Palin automatisch Präsidentin würde, falls John McCain etwas zustieße.

Ruth Lawson, die gemeinsam mit ihrem Ehemann zur Fernsehübertragung nach Grand Junction gekommen ist, findet das unbegreiflich. „Ich vertraue Sarah Palin, und ich finde ekelerregend, wie die Medien versucht haben, sie kaputtzumachen“, meint die Hausfrau und dreifache Mutter. Die Debatte hat ihr Vertrauen in Palin nur gestärkt: „Sie war einfach großartig.“