Ein Inspekteur will Zeit

Seit Beginn seiner Arbeit betont Hans Blix, dass der heutige 27. Januar nicht der Tag der Abrechnung mit dem Irak sei

von KARIM EL-GAWHARY

Manche nennen ihn den Herrn über Krieg und Frieden. Doch der oberste UN-Waffeninspektor Hans Blix lehnt es ab, sich diesen Schuh anzuziehen. Er berichte lediglich dem UN-Sicherheitsrat und der habe dann zu entscheiden, betont Blix seit Beginn seiner Mission im Irak vor 60 Tagen immer wieder.

Heute ist es soweit. Der Waffeninspekteur muss seinen ersten Zwischenbericht vorlegen, dessen Inhalt, so glauben zumindest viele, Washington als weiterer Schritt auf dem Weg zum Krieg dienen könnte. Ganz so wie US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice es formuliert: Das Datum sei kein Ultimatum, aber möglicherweise der Beginn der letzten Phase.

Doch Blix selbst versucht nun schon seit Tagen, diesem Datum seine Bedeutung zu nehmen. Vor allem eine Botschaft ist es, die der interviewfreudige Schwede immer wieder versucht herüberzubringen: Er braucht mehr Zeit. In der UN-Resolution 1441 sei kein Datum für das Ende der Inspektorenarbeit festgelegt. Der 27. Januar sei nicht der Tag der Abrechnung mit der irakischen Regierung. Ende März beispielsweise sollen die Inspektoren eine Liste vorlegen, auf der sie genau festlegen sollen, welches die Schlüsselbereiche für Iraks Abrüstung sind. Die Inspektoren brauchten noch Monate, um ihre Aufgabe zu erledigen, verkündete Blix noch letzte Woche in einem Interview.

Doch der 74-Jährige steht unter Druck. „Die Iraker müssen nur zu ihren Grenzen blicken und sehen, wie ernst die Lage ist“, erklärte er und fordert vom Irak eine „aktive Zusammenarbeit“ um die ausstehenden Fragen zu klären. Da sei beispielsweise das Problem mit dem 12.000-seitigen Bericht, den der Irak über sein Waffenprogramm letzten Monat vorgelegt hat. Darin fehlten die Belege, dass das Land tatsächlich all seine früheren Massenvernichtungswaffen zerstört habe, erklärt Blix.

Und dann gibt es auch noch neue Funde, wie das Dutzend Artilleriesprengköpfe, die potenziell mit chemischen Kampfstoffen gefüllt werden könnten. Oder das im Haus eines irakischen Wissenschaftlers entdeckte schriftliche Material, das mit dem irakischen Atomprogramm in Verbindung stehen könnte. „Sind das Überbleibsel aus der Vergangenheit, oder ist das die Spitze des Eisbergs“, fragt Blix in Richtung Bagdad. Doch bisher bleibt der besonnene Nordeuropäer bei seinem Standpunkt: Auf frischer Tat habe man den Irak noch nicht ertappt.

Von den US-amerikanischen und britischen Geheimdiensten hat Blix mehr Material gefordert, da diese angeblich über Indizien für ein irakisches Programm von Massenvernichtungswaffen verfügen. Er habe immer wieder das Gefühl gehabt, dass die Geheimdienste wie ein Bibliothekar seien, der seine Bücher nicht ausleihen wolle, sagte der UN-Mann letzte Woche der britischen BBC, fügt aber hinzu, das sich das jetzt langsam zum Positiven ändere.

Und noch etwas anderes betont Blix immer wieder, seit er sein Amt vor zwei Jahren als oberster Waffeninspektor antrat. Es wird keinen Punkt geben, an dem die Inspektoren mit absoluter Sicherheit erklären können, dass es keinerlei Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen gibt. „Diese letzte Schicht im sich leerenden Fass werden wir niemals erreichen. Es wird immer eine Unsicherheit übrig bleiben“, warnt Blix. Man könne nicht garantieren, dass mobile Labors oder Installationen unter der Erde ausfindig gemacht werden können, wenn es sie denn gäbe.

Dennoch ist es für Blix wichtig, den Irak unter Beobachtung zu halten. Nur so könne man sicherstellen, dass seine Industrie nicht im großen Stil Massenvernichtungswaffen herstellen kann. „Wir werden nie eine 100-prozentige Sicherheit haben, aber die Politiker müssen sich heute fragen, ob die Eindämmung des Irak durch die Inspektionen für sie genug ist oder ob sie weiter gehen wollen, aber zu einem wesentlich höheren Preis.“

Wenig Gebrauch hat Blix von der Möglichkeit gemacht, irakische Wissenschaftler außerhalb des Landes zu interviewen. Ein Instrument, das ihm durch die UN-Resolution 1441 in die Hand gegeben wurde und dessen Anwendung vor allem von Washington immer wieder gefordert wird. Doch Blix zögert. „Wir sollten nicht zu einem Mechanismus für Überläufer werden“, sagt er.

So manövriert der oberste Inspektor zwischen den Fronten. „Die Zeit läuft aus, kooperiert jetzt oder nie“, warnt er Bagdad. Von Washington fordert er dagegen „mehr Zeit“. Dabei macht er kein Geheimnis daraus, welche Option er bevorzugt. Die Inspektoren, sagt er, könnten sich überall im Irak bewegen. Sie arbeiteten mit Hubschraubern und Satelliten. Sie hätten einen riesigen Apparat, um den Ort zu überwachen. „Jeder sollte unsere Inspektionen mit der anderen Option vergleichen“, sagt er. Wer die militärische Option bevorzuge, der müsse die Todesopfer, Verletzte und Zerstörungen erwägen, gibt er zu bedenken. Und dann habe das Ganze noch eine finanzielle Seite: „Wir haben 250 Inspektoren mit einem Budget von 80 Millionen Dollar im Jahr. Den Medien entnehme ich, dass eine militärische Aktion mit 250.000 Soldaten mehr als 100 Milliarden Dollar kosten wird“.

Trotzdem, auch Blix weiß, das er eines Tages einen Anruf bekommen könnte, in dem es heißt, wie er es ausdrückt: „Geh mit deinen Jungs zur Seite, jetzt kommen wir.“ Das sei aber nicht seine Arbeitsgrundlage. „Wir gehen erst einmal davon aus, dass unser Mandat weitergeht.“ Sein Job sei es, den friedlichen Weg zu gehen“, sagte er gegenüber der BBC. Andere hätten die andere Position zu verteidigen. Er versuche, für seine Option das Beste zu geben.