Ruhig und saturiert? Von wegen!

betr.: „Sehr beschäftigt mit dem Wandel“, taz bremen vom 29. 9.

„Die Danziger und Rigaer Autoren“, bemerkt der Interviewer Christian Jakob sehr richtig, „schreiben in ihrer Anthologie über ihre eigene Stadt, die Bremer Autoren über die Städte der anderen. Warum?“ Die Antwort meiner Autorenkollegin und Herausgeberin Birgid Hanke ist einer näheren Betrachtung wert. Sie sagt nämlich: „Die Bremer Autoren sind etwas ruhiger und saturierter und haben Zeit, ihren Blick interessiert gen Osten zu richten. Die dortigen Schriftsteller sind noch zu sehr mit dem Wandel in ihren Gesellschaften beschäftigt.“ Das ist gewiss nicht falsch; doch über das Wesentliche belehren uns die biographischen Notizen im Anhang. So stammen alle vier Danziger Autoren aus Danzig; hingegen sind acht der zehn Bremer Autoren keine gebürtigen Bremer. Kein Wunder also, dass sie mit ihrer Wahlheimat nicht so verbunden sein können wie der plattdeutsche Autor Carl Scholz und ich mit unserer Heimatstadt und die Danziger Autoren mit ihrer.

Es bleibt also festzuhalten: dass die Danziger nicht zuvörderst über Danzig schreiben, weil sie noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt wären, sondern weil sie Danziger sind. Sie fühlen sich zutiefst mit ihrer alten Hansestadt verbunden, so wie Günter Grass. Das gleiche gilt für Thomas Mann und Lübeck, Walter Kempowski und Rostock und tausend andere Autoren aus aller Welt, darunter auch ich. Mein Text aber handelt eben nicht nur von Danzig, sondern von einer arbeitslosen Bremerin, die den Roman des einstigen Danziger Vizebürgermeisters Waldemar Nocny über das Danzig der Nazizeit sowie die Flucht und Vertreibung der Deutschen lektoriert und gleichzeitig befürchtet, aus ihrer Wohnung vertrieben zu werden, weil die Miete über dem Regelsatz für Hartz IV-Empfänger liegt. Von Ruhe und Saturiertheit kann also auch bei Bremer Autoren nicht allemal die Rede sein; und schon gar nicht bei mir.

HELLA STREICHER, BREMEN