Übles Geschachere

Um an den WM-Titel heranzukommen, paktiert Garri Kasparow sogar mit Fide-Präsident Kirsan Iljumschinow

BERLIN taz ■ Abstoßend fand das Fachorgan Schach die Szene und widmete ihr das Editorial. Garri Kasparow hatte bei der Schach-Olympiade im slowenischen Bled Kirsan Iljumschinow den Bruderkuss auf die Wange gedrückt, ausgerechnet dem Mann also, den der Weltranglistenerste seit der Inthronisation 1995 als Präsident des Schach-Weltverbandes Fide gerne als Mafia-Paten beschimpfte. Konnte sich der Moskauer, der vor zehn Jahren den WM-Titel von der Fide abspaltete und in eigener Regie vermarktete, solcherlei Affronts gegenüber dem Präsidenten der russischen Republik Kalmückien lange leisten, fließen inzwischen die Millionen spärlicher. Und noch schlimmer für das Ego des unbeliebtesten Großmeisters im Schachzirkus: Er kam nicht mehr an den WM-Titel heran. Wladimir Kramnik verweigerte Kasparow nach dem Sieg 2001 eine Revanche. Sein russischer Landsmann solle sich gefälligst regulär für diese qualifizieren, beschied der neue Weltmeister dem alten; der WM-Qualifikation in Dortmund blieb Kasparow jedoch fern. Stattdessen paktierte er mit Iljumschinow, beide gebärden sich plötzlich wie unzertrennliche Freunde.

Leidtragender ist Ruslan Ponomarjow. Der offizielle Champion der Fide bekam vom Weltverband die Pistole auf die Brust gesetzt. Auf dem Weg zur im April in Prag vereinbarten Titelvereinigung mit Kramnik soll der Ukrainer im Halbfinale zu den Bedingungen spielen, die Kasparow diktiert. Ponomarjow stellt jedoch auf stur und beharrt beispielsweise auf die kürzere Grundbedenkzeit von 90 Minuten plus 30 Sekunden je ausgeführten Zug, die die Fide gegen die geharnischten Proteste vieler Großmeister bei der letzten WM eingeführt hatte.

Bei Ponomarjow hat das ganze Theater offensichtlich Spuren hinterlassen: Beim Topturnier in Wijk aan Zee war der wenig abgebrühte 19-Jährige völlig von der Rolle, kassierte gegen die 13 Gegner 5 Niederlagen und kam mit 6 Zählern lediglich als Drittletzter ins Ziel. Unbeschwert konne derweil der Inder Viswanathan Anand an der holländischen Küste auftrumpfen, hielt sich der Exweltmeister doch von Anfang an aus dem WM-Geschacher heraus. Mit 8,5 Punkten setzte sich der „Tiger von Madras“ vor der ebenfalls ungeschlagenen Judit Polgar (Ungarn/8) durch. Auch Kramnik (7) schnitt als Achter schlechter denn je ab und verlor 3 Partien. Den zweiten Weltmeister, dessen Titelrechte das englische Medienunternehmen Einstein hält, hatte während des Turniers die Kunde erreicht, dass die französische Milliardärin Nahed Ojjeh ihr Sponsoring aufgibt. Einstein hatte einen Teil der von Ojjeh gestellten 300.000 Dollar Preisgeld erst ein halbes Jahr nach dem Kandidatenturnier von Dortmund ausbezahlt.

Trotz des Ärgernisses sieht Carsten Hensel, Manager von Kramnik wie Herausforderer Peter Leko, das Einstein-Match nicht in Gefahr: „Von sieben Interessenten sind drei übrig geblieben. Die erste Partie soll am 31. Mai gespielt werden und der Wettkampf am 20. Juni beendet sein, da die Fide danach ihr Duell starten will.“ Die Vorgänge beim Fide-WM-Zyklus will Hensel nicht kommentieren. Nur so viel: Beim Weltverband solle endlich professionelles Management Einzug halten, und die Verträge müssten sich an „internationalem Recht orientieren“. Dass Ponomarjow von der Fide ausgebootet wird und Wassili Iwantschuk (Ukraine) nachrücken soll, bezeichnet Hensel als „unmöglich“.

Die Leistungen aller Protagonisten leiden unter dem Hickhack – außer bei einem: Kasparow ging in New York gewohnt kaltblütig eine Revanche an. Nachdem er 1997 als erster Weltmeister gegen einen Computer, den IBM-Großrechner Deep Blue, mit 2,5:3,5 verloren hatte, schlug der Weltranglistenerste gestern Deep Junior. Das israelische Weltmeisterprogramm ging bei der Fide-Computer-WM in der ersten von sechs Partien nach nur 27 Zügen unter. „Ich fand eine Schwachstelle in ihrer Vorbereitung. Nicht in der Maschine, sondern bei den Menschen dahinter“, kommentierte Kasparow. HARTMUT METZ