München scheut den Leichenblick

Berlin, London und Seoul zählen zu den Stationen der „Körperwelten“. München, sonst stets um Weltstadtanspruch bemüht, droht der Show mit Verbot – und den entblößten Leichenpräparaten mit Zwangsbestattung auf dem Schwabinger Nordfriedhof

aus München JÖRG SCHALLENBERG

Karten für die Ausstellung kann man schon bestellen. Am 28. Februar um 9 Uhr sollen die „Körperwelten“ in einer ehemaligen Reithalle in München-Schwabing ihre Pforten öffnen. Und wer möchte, der lässt sich im Internet als Zuschauer für eine öffentliche Leichensektion in München vormerken. Nur: Stattfinden wird wohl beides nicht.

Denn der Münchner Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle (SPD) will die „Körperwelten“-Schau des Heidelberger Anatomen Gunther von Hagens verbieten. Zwar muss am Mittwoch noch der Stadtrat zustimmen, aber in einer Ältestenversammlung haben Vertreter von SPD, CSU und Grünen bereits ihre Zustimmung für ein Verbot signalisiert. Einzig die FDP wird wohl dagegen votieren.

Das ist verblüffend, hat doch von Hagens seine plastinierten Leichen bereits vor Millionen Besuchern in Mannheim, Berlin, Köln und Oberhausen gezeigt. Zurzeit läuft die Ausstellung in London und Seoul. Ethisch und moralisch waren die „Körperwelten“ dabei stets umstritten, was vor allem daran lag, dass sie ihre 25 toten Körper und rund 200 Körperteile nicht nüchtern wie in einer anatomischen Sammlung präsentieren, sondern in provokanter Inszenierung. Da reitet eine geöffnete Leiche auf einem Pferd, eine andere lehnt in Denker-Pose an der Wand, über dem Arm hat sie ihre Haut wie einen Mantel geworfen. Eine dritte zeigt im offenen Bauch einen sieben Monate alten Fötus.

Juristisch aber gab es bisher keine Probleme. Zwar gingen bereits 1997 bei der ersten Station in Mannheim mehrere Anzeigen ein, doch die Stadt entschied damals, dass die Exponate nicht als Leichen zu betrachten seien, sondern als Präparate – mithin als Sachen. Das sieht man in München ganz anders.

Kreisverwaltungsreferent Blume-Beyerle argumentiert nach einer rechtlichen Prüfung, dass es sich bei den plastinierten Körpern um Leichen im juristischen Sinne handelt. Es verstoße aber sowohl gegen das bayerische Bestattungsgesetz als auch gegen das Grundgesetz, echte Leichen zur Schau zu stellen.

Zudem müssen Leichen in Bayern binnen 96 Stunden beerdigt werden, es sei denn, sie dienen medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken. Laut Gesundheitsreferent Joachim Lorenz sei das bei den „Körperwelten“ aber nicht der Fall: „Wissenschaftliche Absichten können wir in der Ausstellung des Herrn von Hagens nicht erkennen.“ Angesichts dieser juristischen Auslegung müsste der Heidelberger Mediziner sogar fürchten, dass seine Plastinate, falls er sie trotzdem nach München bringt, nach vier Tagen auf dem Schwabinger Nordfriedhof landen. Die Behörden könnten die Ausstellungsstücke beschlagnahmen und zwangsweise bestatten.

Stimmt der Stadtrat gegen die Schau, werden wohl die Gerichte entscheiden müssen. Den Plan, wie vor ein paar Monaten in London auch in München öffentlich eine Leiche zu sezieren, hat Gunther von Hagens aber bereits aufgegeben, erklärt seine Sprecherin Karen Schüssler. Diese spektakuläre Aktion hatte im November 2002 zur rechtlichen Prüfung der Ausstellung geführt.

Obwohl Mediziner, Kirchenvertreter und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude die „Körperwelten“ als „abscheuliches Spektakel“ geißeln, stößt das mögliche Verbot auch auf Kritik. Der renommierte Marburger Wissenschaftsethiker Peter Dabrock etwa bescheinigt der Ausstellung einen „wissenschaftspädagogischen Ansatz“. Und der Regensburger Anatom Karl Kleinhans wetterte in der Münchner Abendzeitung gegen ein Verbot, „das Schlimme daran ist, dass diese Sache von Leuten entschieden wird, die von der Anatomie gerade einmal wissen, wie man sie schreibt“.