„Niemand ist Gottes Repräsentant“

Die Union progressiver Juden fordert Anerkennung und finanzielle Unterstützung durch den Zentralrat

taz: Herr Bahagon, der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, sprach gestern von einem „historischen Tag“ – war er das auch für Sie?

Shmuel Bahagon: Paul Spiegel hat einen guten Willen. Er hat mit dem historischen Schritt des Staatsvertrags etwas sehr Positives für die Juden getan. Aber niemand von uns hat ein Zertifikat von Gott, sein Repräsentant zu sein. Wir progressiven Juden kämpfen seit Jahren darum, anerkannt zu werden. Das progressive Judentum ist weltweit die Hauptbewegung des Judentums dieses Jahrhunderts: Es gibt 2,5 Millionen liberale Juden. Der Zentralrat geht einen orthodoxen Weg: Er will uns nicht anerkennen.

Ihr Verband hat gefordert, dass der Staatsvertrag nicht ohne Sie abgeschlossen werden dürfe. Jetzt ist er abgeschlossen – ohne Sie.

Man hatte uns versprochen, ein Teil der Diskussion über den Vertrag zu sein. Jetzt ist er unterschrieben. Aber wir sehen das Bundesinnenministerium dafür verantwortlich, dass wir einen Teil der Zuschüsse bekommen, die der Staatsvertrag vorsieht.

Der Zentralrat sei „nach seinem Selbstverständnis“ für alle Richtungen des Judentums „offen“, heißt es.

Das ist sehr comme ci, comme ça. Es gibt keine Pflicht, dass wir oder eine andere jüdische Bewegung etwas bekommen. Wir erwarten, dass nun die so genannten Einheitsgemeinden im Zentralrat ihre Hände öffnen und uns berücksichtigen.

Paul Spiegel deutet an, die Aufnahme liberaler Gemeinden sei schwierig, da viele liberale Juden von den Religionsgesetzen her keine Juden seien.

Das Judentum ist eine pluralistische Religion. Nach der Logik Spiegels wären zweieinhalb Millionen Juden keine Juden, da sie liberal sind. Spiegel betont, er sei Vorsitzender einer politischen Organisation. Wir unterstützen ihn darin, absolut. Aber wir sind ein Teil der jüdischen Gemeinschaft, die er repräsentiert. So sieht es auch die Regierung.

Aber nicht der Zentralrat.

Es ist nicht konsequent, zu bezweifeln, dass die größte jüdische Bewegung weltweit jüdisch ist, aber von den 70.000 russischsprachigen Juden, die seit fünfzehn Jahren hier eingewandert sind, seien es alle, da sie Mitglieder der Einheitsgemeinden sind.

Womöglich werden im Herbst sieben liberale Gemeinden in den Zentralrat aufgenommen – müsste Ihr Verband sich dann nicht auflösen, weil Ihr Ziel erreicht ist?

Wer gibt uns die Garantie, dass die aufgenommen werden? Und wie lange wird das dauern? Wir sind aus Fleisch und Blut, wir leben heute.INTERVIEW: PHILIPP GESSLER