ein amerikaner in berlin
: Deutsche Einschüchterung

Warum N. lernte, Danke zu sagen

Die Deutschen glauben, an einem fehlenden Nationalbewusstsein zu leiden. Leute, ihr habt’s noch leicht. Versucht mal, ein Ami in Berlin zu sein! Wo immer ich hingehe, höre ich, wie schlecht Amerika ist. Wir seien dumme, dicke, oberflächliche Imperialisten, die kein ordentliches Brot backen können und dazu eine schlechte Nationalelf haben. Ja, ich muss sogar zugeben, dass einiges stimmt. Ich schäme mich auch für die Äußerungen meiner Regierung: Wenn Donald Rumsfeld im Fernsehen spricht, frage ich mich, ob es schwer wäre, eine andere Staatsangehörigkeit zu bekommen.

Kurz gesagt, man wird als Amerikaner ziemlich eingeschüchtert. Ich habe jetzt schon mehrmals bemerkt, dass amerikanische Studenten bei ihrer großen Europareise die kanadische Fahne auf den Rucksack genäht haben, um die US-Staatsangehörigkeit zu vertuschen. Es macht die Kanadier nämlich unglaublich sauer, wenn sie mit dem südlichen Nachbarn verwechselt werden.

Der schwerste Fall dieser Einschüchterungskrankheit, den ich bis jetzt erlebt habe, ist bei meinem Freund N. aufgetreten, der mich aus Kalifornien besuchen kam. N., der eigentlich Neil heißt, ist nämlich weltoffen und wollte Berlin sehen. Angst war ihm schon eingejagt worden, bevor er sich von dem Jetlag erholen konnte: Auf der Taxifahrt vom Flughafen Tegel nach Kreuzberg hörte der Fahrer eine Kassette, auf der ein saudi-arabischer Mullah sein Mitleid für die Attentäter vom 11. September auf Englisch aussprach. So empfing Berlin meinen Freund aus Kalifornien.

Neil, der absolut kein Deutsch kann, tat das Folgerichtige: Er schwieg.

Mein Freund entwickelte eine sehr effektive Strategie: Er ging ständig einen Schritt hinter mir und ließ mich alles sagen. Ich bestellte im Restaurant stets für uns beide, quatschte mit den Leuten in der Videothek. Dabei benutzen die Mitarbeiter in der Videothek eigentlich ganz gern ihr charmant mangelhaftes Englisch. Es stört nur ein wenig, dass sie immer wie die Schurken in einem der James-Bond-Filme klingen, die sie dauernd gucken.

Das einzige Wort, das Neil sich während seines Aufenthalts in Deutschland aneignete, war „Danke“. Dieses Wort übte er so lange, bis man gar keinen amerikanischen Akzent mehr hörte. Anfangs war auch ich stolz, dass er zumindest dieses eine Wort gelernt hatte.

Seine Angewohnheit, nur „Danke“ zu sagen, ließ uns allerdings manchmal sehr komisch erscheinen: Es sah nämlich so aus, als hätte ich einen Diener. Beim Treptower Flohmarkt zum Beispiel ging er immer einen Schritt hinter mir, schwieg und äußerte sich nur, wenn ich einen Kauf abgeschlossen hatte. Dann sagte er, auch wenn er selbst nichts gekauft hatte, sein makelloses „Danke“ auf. Am geschockten Gesichtsausdruck mancher Verkäufer erkannte ich, dass sie ihn zuvor für stumm gehalten hatten. Wahrscheinlich hielten sie ihn nun nur für geistig benebelt.

Endlich aber fand er einen Kulturraum, in dem er sich wohl fühlte: im Döner-Imbiss in meinem Wohnhaus. Dazu kam es, als ich eines Abends mit einer Frau essen ging. Da dürfe er, sagte ich ihm, leider nicht mit. Also blieb er zurück, stellte dann allerdings eine Stunde später fest, dass nichts mehr im Kühlschrank war. Es stand außer Frage, dass er zum Penny-Markt gehen würde, da er auf keinen Fall „frozen pizza“ auf Deutsch sagen wollte.

Als er begriff, dass er alleine sein Abendessen würde besorgen müssen, ging er die Treppen runter zum Imbiss. Da wurde er warm und freundlich aufgenommen: Der Besitzer, ein äußert gutmütiger Türke, kann auch nicht gerade gut Deutsch. Ihm machte es nichts aus, dass Neil nur stumm auf den Dönerspieß zeigte und sich danach bedankte. ARNO HOLSCHUH