„Heute werden Wahlen mit Worten gefälscht“

Warum wählte der Osten so stark PDS, fragt sich die Westberliner CDU und lässt sich von Wolfgang Berghofer Antworten geben. Der war letzter SED-Oberbürgermeister von Dresden und zur Wende PDS-Vize. Heute zieht er Parallelen zwischen DDR und aktueller Misere. Ein Ortstermin in Tegel

Er war eine große Hoffnung in der untergehenden DDR. Wolfgang Berghofer, letzter SED-Oberbürgermeister von Dresden, als langjähriger FDJ-Funktionär Vertrauter von Egon Krenz, in Wendezeiten kurzfristig Vizechef der SED-PDS. „Bergatschow“ nannten ihn manche in den 80ern, als in Moskau Michail Gorbatschow Glasnost und Perestroika ausprobierte. An diesem späten Januarabend sitzt er, der frühere Großstadtchef, vor knapp 20 CDU-Mitgliedern in einer Vorortkneipe in Tegel. Mario Czaja hat den Kontakt vermittelt, der Hellersdorfer Vize der Unionsfraktion im Abgeordnetenhaus, der den heutigen Wirtschaftsberater Berghofer zu seinem Beraterkreis zählt.

Der Ex-OB, seit seinem PDS-Austritt Anfang 1990 parteilos, soll den örtlichen Christdemokraten erklären, warum im Osten der Stadt so viele Menschen die PDS gewählt haben. „Die SED-Nachfolger“ nennt sie in der Kneipe einleitend einer, der schon äußerlich an Frank Steffel erinnert, den CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Bei der Suche nach Erklärungen habe schon der Herr Schabowski weiterhelfen können, den man sich vor einem Jahr einlud, sagt Dirk Steffel, Bruder von Frank S. und Vize im Ortsverband.

Er wolle verhindern, dass sich eine „gewisse DDR-Nostalgie“ breit mache, sagt Berghofer. Darum sei er gekommen, darum lese er aus seinen 2001 veröffentlichten Erinnerungen, die später unter den CDUlern für zehn Euro samt Widmung gut weggehen. Vieles im Land heute erinnere ihn an DDR-Zeiten. Die Spitzenpolitik flüchte sich in die Außenpolitik, interessiere sich nicht für die Basis, Wahlen würden gefälscht. Gefälscht? „Wir haben sie mit dem Bleistift gefälscht, heute werden sie mit Worten gefälscht“, sagt Berghofer. „Das ist verdammt ähnlich.“

1992 wurde er selbst wegen Wahlfälschung zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Sein Verteidiger damals: Otto Schily. Noch an diesem Abend klingt Frust aus Berghofer, dass er sich zu der Fälschung bekannte, viele andere DDR-Obere aber nicht, wie sein damaliger Bezirkschef Hans Modrow, heute Ehrenvorsitzender der PDS.

Wenn er mit dem Fälschungsvergleich die Tegeler CDU-Leute provozieren wollte, wie er sagt, so scheitert der Versuch. Nur Ortsverbandschef und Bundestagsmitglied Roland Gewalt widerspricht und mag da trotz der erfolgreichen CDU-Bemühungen um einen Wahlbetrugsausschuss noch einen klaren Unterschied zwischen DDR und Bundesrepublik sehen. Berghofer rudert ein wenig zurück, nennt seine Worte „humorvoll umschriebene Untergangserfahrungen“.

Was er in seinen Ausführungen weglässt, ist seine bundesweit Aufsehen erregende zwischenzeitliche Rückkehr in die Politik im Sommer 2001. Kurzfristig stieg er als Parteiloser in die Wahl zum Dresdner Oberbürgermeister ein, gab vor, tatsächlich an die Stadtspitze zurückkehren zu wollen. „Klarer Schachzug der CDU“, mutmaßten schon damals politische Gegner: Berghofer, gut mit dem damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf befreundet, wolle allein Stimmen vom von der PDS unterstützten Gegenkandidaten des langjährigen CDU-Oberbürgermeisters abziehen.

Gegenüber der taz bestätigte Berghofer das jetzt erstmalig: „Das war ein reiner Verhinderungswahlkampf.“ Zwar habe nicht Biedenkopf ihn um eine Kandidatur gebeten. „Aber genug andere haben sich gemeldet.“ Chancen habe er sich keineswegs ausgerechnet. Am Ende misslang das Manöver auch, Berghofer ging mit 12 Prozent unter, der CDU-Mann scheiterte.

Er gibt an diesem Abend eine Art Nachhilfeunterricht in Sachen DDR und Osten, erzählt von der damaligen Doppelstruktur von Staat und Partei, als wenn das gestern aufgedeckte Forschungsergebnisse seien. Das scheint aber notwendig, wenn für Ortsverbandsvize Steffel schon Berghofers Wohnort im Osten der Stadt jwd erscheint. Der wohne im Wahlkreis des Abgeordneten Czaja, sagt er, „in Biesdorf-Mahlsdorf oder was das da ist“.

Nach der Zukunft der PDS fragt keines der CDU-Mitglieder. Die Zukunft der PDS sei an dem Tag erledigt, an dem das Land endgültig zusammengewachsen sei, sagt Berghofer der taz. Die Partei habe ihre wichtigsten Figuren verloren. Wirtschaftssenator Harald Wolf sei ein sachlicher, vernünftig wirkender Mann, „aber kein Motivator wie Gysi, der die Massen aufrüttelt und bewegt“.

Auch inhaltlich sieht Wolfgang Berghofer schwarz für die PDS. Ihre wichtigsten Themen besetze die SPD, „und sie verschleißt sich in Regierungsarbeit“. Wenn überhaupt, dann überlebe die PDS als Regionalpartei. Nicht dass die Partei auf kommunaler Ebene keine kompetenten Leute hätte, auch mit SED-Vergangenheit: „Doch die machen keine PDS-Politik, sondern Kommunalpolitik.“

STEFAN ALBERTI