Über den Dispo studieren!

Nordrhein-Westfalen hat eine Alternative zu den Strafgebühren: die Studienkonten. Ab 2004 haben Studierende ein Guthaben gebührenfreier Seminare – das begrenzt ist. Eine Kreditberatung

von ANNIKA JOERES

Wie verprasse ich mein Studienkonto …?

Das ist leicht. Ab 2004 erhält jeder Studierende in Nordrhein-Westfalen ein Guthaben. Damit kann er oder sie bis zur anderthalbfachen Regelstudienzeit (rund 14 Semester) kostenlos studieren. Danach werden Strafgebühren fällig – 650 Euro pro Semester. Wer neben dem Studium arbeiten muss, hat also gute Chancen, sein Studierguthaben sinnlos zu verfrühstücken. Am leichtesten so: Wenn man schon seit einigen Jahren studiert, ist das Konto bei der Eröffnung 2004 bereits leer.

und wie mein Punkteguthaben, das ab 2007 gilt?

Ab 2007 kommt das individuelle Studienkonto. Dann zählt nicht mehr die Studienzeit, sondern die Anzahl der belegten Seminare. Dazu muss für jede Übung, jedes Seminar und jede Vorlesung der mehr als 2.100 Studiengänge in NRW ein Punktesystem entwickelt werden. Jedes Konto verfügt über rund 200 Semesterwochenstunden. Um dieses Konto durchzubringen, genügt es also, vom angolanischen Arbeitsrecht bis zum Zen-Buddhismus jedes Seminar anzunehmen, das sich bietet. Gut geeignet sind Zahnmedizin oder bestimmte Lehrerausbildungen.

Hat mein Konto einen Überziehungskredit?

Ja, in bestimmten Fällen. Ein bis zwei Kinder – und schon hat das Konto einen viersemestrigen Dispo. Ein Engagement in den Fachschaften oder Unigremien bringt drei Semester, eine Anstellung als Frauenbeauftragte ebenfalls. Rheuma, Diabetes oder Querschnittslähmungen sind nicht zu empfehlen – einem gebührenfreien Studium nützen sie, weil sie Sozialpunkte bringen. Vorteile bringt auch das Alter: Ein Seniorenstudium kostet nur 75 Euro pro Semester.

Wie kann ich um die Strafgebühren des Kontenmodells ganz herumkommen?

Kein Problem. Wenn ein Einzelkind in Düsseldorf studiert und kurz vor dem Examen steht, die Mutter gestorben ist und der schwer kranke Vater in Hamburg von der Sozialhilfe lebt und keinen Pflegedienst in Anspruch nehmen kann, dann, ja dann würden die Gebühren von 650 Euro pro Semester gestundet.

Werden NRWs Universitäten und Fachhochschulen jetzt reich und schön?

Unwahrscheinlich. Zwar sollen die Unis etwa die Hälfte der Einnahmen erhalten, dafür schüttet das Land aber weniger Mittel für die Hochschulen aus. Schließlich soll das Kontogesetz das klaffende Haushaltsloch stopfen helfen. Einige Unis gehen sogar davon aus, dass der bürokratische Aufwand die Gebühren ganz auffressen wird. Außerdem erhält die Hochschule mit den schnellsten Studierenden das meiste Geld. Die schlecht ausgestattete, schlecht organisierte und schlecht betreuende Uni erhält also das wenigste. Schöner werden die Unis nicht. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Unis ihre Studierenden „intensiver betreuen“. Dies wird aber zunächst nicht eintreten; keine der nordrhein-westfälischen Unis plant eine neues Betreuungsprogramm. Derzeit studieren etwa 15 Prozent der Studierenden im 14. oder höheren Semester. Darunter sicher viele Karteileichen, die aus steuerlichen Gründen eingeschrieben sind oder billig Bus fahren wollen.

Sollte ich besser in ein anderes Bundesland auswandern?

Besser nicht. Das im Sommer 2002 von Rot-Grün verabschiedete neue Hochschulrahmengesetz garantiert ein gebührenfreies Erststudium nur so lange, wie die Regelstudienzeit nicht überschritten wird. Verschiedene Länder umgehen diese Regelung. Im schwarz-gelb regierten Baden-Württemberg zahlen Studierende schon seit vier Jahren 500 Euro pro Semester Überziehungsgebühr. Selbst im tiefen Süden, wo der Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) bislang ein Garant gegen Studiengebühren war, gibt es Bildung möglicherweise nicht mehr umsonst. Im Stoiber-Land wird gerade eine Studie über die Akzeptanz von Studiengebühren in Höhe von etwa 500 Euro angefertigt. Auch im Norden wird Bildung teurer: Hamburg will noch in diesem Jahr Studienkonten nach dem rheinland-pfälzischen Modell einführen.