„Nordkorea ist undurchschaubar“

Der amerikanische Nordkorea-Experte Richard C. Bush über die Äußerungen seines Namensvetters im Weißen Haus, das Regime von Kim Jong Il in Pjöngjang zur „Achse des Bösen“ zu zählen, und die daraus möglicherweise resultierenden Folgen

Interview MICHAEL STRECK

taz: Genau vor einem Jahr bezeichnete US-Präsident Bush Nordkorea als Teil der „Achse des Bösen“. Empfand Pjöngjang dies als Schlag ins Gesicht, und führte dies zur aktuellen Krise?

Richard C. Bush: Das glaube ich nicht. Die Nordkoreaner wussten, dass die Bush-Regierung skeptischer und unnachgiebiger ist als die Clintons zum Ende ihrer Tage. Sie waren sicher nicht so stark beleidigt, dass sie nicht mehr mit Washington hätten reden wollen, wenn die USA gewollt hätten. Der US-Gesandte James Kelly sollte im Juli nach Pjöngjang reisen. Die Reise platzte, weil ein nordkoreanisches Kriegsschiff auf ein südkoreanisches feuerte. Bei Kellys Mission im Oktober offenbarten die Nordkoreaner dann ihr geheimes Atomwaffenprogramm.

Bushs Bezeichnung drückt seine tiefe Abscheu gegenüber Kim Jong Il aus, wie er sein Volk behandelt. Aus diplomatischen Gründen hätte ich auf diesen Begriff verzichtet. Asiaten so zu bezeichnen, schafft unnötige Probleme. Nordkorea mit dem Irak zu vergleichen, warf zudem die Frage auf, warum die Länder unterschiedlich behandelt werden. Die Rhetorik aus Pjöngjang uns gegenüber ist allerdings noch weitaus gehässiger.

Beeinflusste die Präventivschlag-Doktrin Nordkoreas Haltung?

Pjöngjang fühlt sich von Südkorea und den USA bedroht. Die neue Doktrin gießt daher Öl ins Feuer. Wir müssen glaubwürdig versichern, dass Nordkoreas Befürchtungen nicht gerechtfertigt sind. Bush hat dies getan, indem er dreimal erklärte, die USA werden Nordkorea nicht angreifen. Andererseits will Pjöngjang den Eindruck erzeugen, die USA hätten die Krise ausgelöst. Das stimmt natürlich nicht.

Seit Oktober reagierte Washington mit Drohungen, Gesprächsangeboten und Isolierungsversuchen. Warum findet die US-Regierung keine geschlossene Linie?

Der Schlingerkurs legt nahe, dass es im Weißen Haus keine Vorstellungen für den Umgang mit Nordkorea gab. Das war nicht der Fall. Nur: Die Regierung ist in außenpolitischen Fragen gespalten. Sie strebt Einigkeit an, die sie jedoch nie erreicht. Sie hat auch ein Problem, wenn es um die Bildung internationaler Koalitionen geht, wobei sie jetzt mehr unternimmt, um die Interessen der Alliierten einzubeziehen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Umgang mit Pjöngjang sehr kompliziert ist.

Warum?

Wir besitzen kaum Informationen. Wir wissen ein wenig mehr als vor zehn Jahren, weil sich das Land für Diplomaten, Nothelfer und Atominspektoren etwas geöffnet hatte. Aber das politische System bleibt undurchschaubar. Es ist völlig zentralisiert, alle Entscheidungen werden von Kim Jong Il getroffen. Der Verhandlungsstil ist eine Gratwanderung und ein Pokerspiel. Wir wissen nie, ob es sich um Taktik oder ernste Absichten handelt.

Was will die Führung in Pjöngjang erreichen?

Sie will überleben, ohne das System zu ändern. Sie will Südkoreas Überlegenheit etwas entgegensetzen. Dazu brauchen sie Atomwaffen. Ihr Nuklearprogramm dient als Verhandlungsmasse, um Unterstützung aus dem Westen zu erpressen.

Ist Nordkorea eine größere Bedrohung als der Irak?

Nein, obwohl Nordkorea wahrscheinlich ein oder zwei kleinere Atombomben sowie Raketen hat. Doch die Nachbarn und die Welt haben sich darauf eingestellt. Auch Pjöngjangs Besitz von weiterem Nuklearmaterial würde Ostasiens geopolitische Stabilität kaum verändern. Hätte Saddam Hussein dagegen die Atombombe, wäre das ein größeres Risiko mit unabsehbaren Auswirkungen auf den Nahen Osten.

Und das Problem der Weiterverbreitung von Atomwaffen durch Nordkorea?

Der Albtraum wäre, wenn Nordkorea waffenfähiges Plutonium zum Beispiel an Saddam Hussein verkauft. Deshalb ist es wichtig, Pjöngjang zu überzeugen, nicht aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen.

Der Bush-Regierung wird vorgeworfen, im Umgang mit Nordkorea und dem Irak mit zweierlei Maß zu messen.

Man kann kein allumfassendes Rezept für alle außenpolitischen Situationen haben. Wer wie die Oppostion und die Medien der Regierung Inkonsistenz vorwirft, will sie vorführen. Als ob es nur Invasion oder Toleranz von Diktatoren gibt.

Wie kann die Krise gelöst werden?

Die USA müssen alles tun, um die Koalition von Staaten zusammenzuhalten, die eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel wünschen. Schafft Nordkoera es, einen Keil in diese Koalition zu treiben, hätten wir ein Problem. Solange wir uns mit unseren Partnern einig sind, wird Kim Jong Il früher oder später einlenken. Dann muss es einen Fahrplan geben für langfristige Gegenleistungen. Sicher wird es darum gehen, dass Kim sein Gesicht wahren kann. In einem sollten wir jedoch nicht nachgeben: Nordkorea muss sein Atomwaffenprogramm aufgeben. Das Land hat das Vertrauen der Staatengemeinschaft missbraucht. Das darf nicht belohnt werden.

Sollte der UN-Sicherheitsrat eingeschaltet werden?

Gegenwärtig nicht. Die Atomenergiebehörde ist der Schlüssel zur Wiederaufnahme der Inspektionen. Der Sicherheitsrat sollte erst eingeschaltet weden, wenn die gegenwärtige regional-multilaterale Strategie versagt.