Wild West im Atom-Endlager

Bislang sollte das Pannen-Bergwerk Asse II geflutet werden. Kritiker haben dagegen stets die Rückholung aller 126.000 Atommüllfässer gefordert. Nun gibt ihnen ein Gutachten offenbar die Zeit dazu

„Natürlich ist da unten Wild West“, sagt Peter Dickel vom atomkritischen Koordinationskreis. In den Tiefen des Pannen-Endlagers Asse II lägen nicht nur 126.000 Fässer mit schwach und mittelstark strahlenden Radio-Nukleiden, sondern viele weitere „Leichen“ in Form von bislang nicht dokumentiertem Müll.

Nicht nur deshalb fordern Asse-Kritiker seit Jahren, die Fässer wieder herauszuholen, die zwischen 1967 und 1978 in dem einstigen Salzbergwerk eingelagert wurden. Der bisherige Betreiber, das Helmholtz Zentrum München (HZM), wollte dagegen die Asse mit einer Speziallösung fluten und den Müll dort begraben.

Viel zu gefährlich für die Umwelt, sagten viele Asse-Anwohner, erste Lecks in den Fässer sind bereits dokumentiert. Immerhin: Nach Unregelmäßigkeiten wurde dem Helmholtz Zentrum der Betrieb des Endlagers entzogen. Ab kommendem Januar soll das Bundesamt für Strahlenschutz (BFS) die Schließung der Anlage nach Atomrecht vorantreiben.

Eine neue Untersuchung untermauert nun offenbar das zentrale Begehren der Asse-Kritiker. Ein Gutachten im Auftrag des Bundesforschungsministeriums zeige, dass die Standfestigkeit des ehemaligen Bergwerks bis 2025 gesichert sein könnte, sagte Michael Fuder vom Koordinationskreis am Montag in Hannover. Bisherige Untersuchungen waren davon ausgegangen, dass die Asse von 2014 an einstürzen könnte. Die seit Jahren einströmenden Laugen destabilisierten das Bergwerk stark.

Das Helmholtz Zentrum war nicht müde geworden, sein Flutungskonzept mit dem Zeitdruck durch den drohenden Einsturz zu begründen. Nach dem neuen Gutachten sieht Fuder die Lage anders: „Durch Stabilisierungsmaßnahmen ist es möglich, Zeit für eine vollständige Rückholung zu erkaufen“, sagt er. Ziel einer neuen Lagerung wäre der bereits genehmigte Schacht Konrad, wenige Kilometer von der Asse entfernt.

Eine Rückholung der gut 1.000 Fässer mit mittelstark verseuchtem Atommüll prüft das BFS gerade. Ein Ergebnis wird in Kürze erwartet. Bislang hielten Experten es aber für technisch fast unmöglich, auch die rund 125.0000 Fässer mit schwach strahlendem Müll, die meisten davon aus dem Kernforschungszentrum in Karlsruhe, aus der Asse herauszuholen. Sie wurden damals, anders als die sorgfältig gestapelten mittelstark belasteten Behälter, von Baggern kreuz und quer in die Asse geschüttet und anschließend mit Salz verfüllt.

Diese Fässer lassen sich nach bisherigem Stand der Technik nur manuell aus dem Bergwerk holen – nicht ungefährlich für das Entsorgungspersonal. Und: Teuer würde die so genannte „Rückholung“ natürlich auch noch. Bislang soll die Schließung der Asse etwa 1,9 Milliarden Euro kosten.

Das Bundesumweltministerium sagt zu den Erkenntnissen des Koordinationskreises nichts: „Das Gutachten zur Standsicherheit haben wir noch nicht“, sagt ein Sprecher. Über die Schließung der Asse werde 2009 entschieden. Gleichzeitig wies er Vorwürfe des Koordinationskreises zurück, der Betreiberwechsel ziehe sich in die Länge. Wegen „juristischer Feinheiten“ sei ein Kabinettsbeschluss in Berlin auf den 15. Oktober verschoben worden. Der Betreiberwechsel sei ein komplexer Vorgang: „Wir verzögern nichts.“ KAI SCHÖNEBERG