Die Welt ist ein Dorf – oder mehrere

Nikolaus Geyrhalter reiste innerhalb eines Jahres in die zwölf entlegensten Winkel dieser Welt. Das 3001 zeigt seine dabei entstandene vierstündige Dokumentation ,,Elsewhere“ in zwei Teilen, die auch für sich stehen können

Nächtliche Dunkelheit liegt über der weiten Schneelandschaft der Samischen Tundra im Norden Finnlands. Das einzige Licht kommt von drei einsamen, neonbeleuchteten Zapfsäulen. Plötzlich taucht ein Mann auf einem Motorschlitten auf, tankt ihn voll und verschwindet wieder in die Nacht. Am nächsten Morgen findet der Mann auf seinem Weg durch den Schnee ein totes Rentier, von dessen Kopf jede Spur fehlt, und macht sich auf die Suche.

Diese Szene, die in ihrer Skurrilität an Aki Kaurismäki erinnert, stammt aus einer der Episoden des Dokumentarfilms Elsewhere von Nikolaus Geyrhalter. Der österreichische Regisseur reiste im Jahr 2000 jeden Monat an einen entlegenen Ort dieser Welt, um die dort lebenden Menschen und ihre Umwelt in einem jeweils 20-minütigen Film zu verewigen. Er besuchte neben den Tuareg die Inuit und Aborigines, filmte in Sibirien, Grönland, auf Sardinien und in der Südsee. Motivation für das ambitionierte Projekt war die Idee, pünktlich zur Jahrtausendwende Menschen im Widerspruch von Tradition und Wandel festzuhalten, die wegen ihrer vorwiegend archaischen Lebensbedingungen in einigen Jahrzehnten vielleicht nicht mehr existieren werden.

Nach 240.000 Flugkilometern und einem entsprechend hohen logistischen Aufwand entstand eine vierstündige Dokumentation aus zwölf separaten Teilen, die ein einzigartiges Panorama an kulturellen Minoritäten und ihren verschiedenen Lebensformen zu bieten hat. Das 3001 zeigt Elsewhere in zwei Teilen, die aufgrund der Eigenständigkeit der einzelnen Episoden einzeln oder in unterschiedlicher Kombination gesehen werden können.

Hinter Geyrhalters Konzept verbirgt sich weder eine explizite Kritik an der Hybris der so genannten westlichen Zivilisation noch der Versuch, mit Hilfe eines ethnologischen Protokolls ein kulturelles Kuriositätenkabinett zusammenzustellen. Zwar wird in den festgehaltenen Gesprächen auch auf den destruktiven Einfluss der sich ausbreitenden Industrialisierung hingewiesen, doch auf eine Diskussion über die viel beschworenen Folgen der Globalisierung und ihrer Kritik wartet man vergebens.

Die Nintendo spielenden Aborigines oder die von der Ölförderung in ihrer Existenz bedrohten sibirischen Ureinwohner gelten Geyrhalter in erster Linie als Zeugnisse einer Zustandsbeschreibung, der es mehr um das Formulieren von Fragen als um den Entwurf von Alternativen geht. Der Film möchte sich mit seinen stehenden Bildern ohne begleitende Musik und ohne erläuternden Kommentar verschiedenen Lebensformen nähern, die trotz ihrer Differenzen einen Bericht vom Ursprung der Ökonomie geben. Die Gesetze des Haushalts, wie sie schon in den politischen Schriften von Aristoteles zu finden sind, sind für die Mehrzahl der in den einzelnen Episoden porträtierten Gemeinschaften gelebte Wirklichkeit. Ob in der Wüste des Niger, im Dschungel Indonesiens oder in der chinesischen Provinz: Subsistenzwirtschaft und der Erhalt der Familie bestimmen das Leben bis in die kleinsten Tätigkeiten des Alltags.

Dieser Kontrast zur hiesigen, von technischem Fortschritt und Wohlstandsmaximierung durchwirkten Lebenswelt hätte dem Film eine pointenreiche Spannung geben können. Doch dazu hätte es neben den eindrucksvollen Bildern einer klar formulierten These bedurft. Deren Fehlen lässt leider einige der Episoden etwas willkürlich erscheinen.

Matthias Seeberg

Zeiten siehe Programm