Dann kam der Herr Hitler

Selbstbefragung, Selbstkorrektur: Das Lichtmeß zeigt den Dokumentarfilm „Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin“

Die Dokumentation Im toten Winkel – Hitlers Sekretärin von Othmar Schmiederer und André Heller ist ein wirksames Antidotum zu aller Nazi-Dramaturgisierung à la Guido Knopp. Der Film zeigt nichts als Traudl Junge, Jahrgang 1920, die von 1942 bis 1945 Hitlers Sekretärin gewesen ist und sich an diese Zeit erinnert. In eleganten Pullovern, ab und an eine Zigarette zwischen den Fingern, berichtet Junge von den Großstadtträumereien des tanzbegeisterten Mädchens, ihrer unerwarteten Anstellung, dem Müßiggang auf der Wolfschanze, dem Redeverbot nach Stalingrad, dem fehlgeschlagenen Attentat und schließlich vom Rückzug und den beinahe surrealen letzten Tagen im Berliner Führerbunker.

Im toten Winkel ist neben einem komprimierten Zeitzeuginnenporträt auch Versuchsanordnung und Psychogramm. Schmiederer und Heller finden eine frappierend einfache und sehr überzeugende filmische Übersetzung des Unternehmens, das Traudl Junge nicht mehr loslässt, seit sie vor der Gedenktafel für Sophie Scholl stand, auch sie war Jahrgang 1920. Dieses Unternehmen heißt Selbstbefragung, Selbstkorrektur. Zwei, drei Mal führen die Autoren der Junge Ausschnitte des bisher Gedrehten auf Video vor und filmen sie dann erneut. Wie sie sich selbst zu soufflieren scheint. Wie sie auch herrisch unterbricht und Fakten ergänzt. Und wie sie sich, in der sicher hellsichtigsten Szene des Films, erschrocken fragt, wie es angehen kann, derart Banales über „dieses Monster“ zu erzählen.

Es gibt wenige Dokumente, in denen jemand ähnlich wach und rücksichtslos gegen sich selbst vorgeht. In Verbindung mit der detailstrotzenden und flüssigen Berichterstattung kommt Traudl Junge einem beinahe unheimlich vor, so fern ist sie allem Abwiegeln und allem betroffenen Geknirsche. Davon, wie „der Herr Hitler“ seiner Lieblingshündin Blondie das Apportieren vormachte, erzählt sie ebenso ungerührt wie vom Vergiften der Goebbels-Kinder und vom Hass auf Hitler. Spät erst setzte der bei ihr ein, aus persönlicher Enttäuschung über seine Feigheit.

Hier wird kein Interview geführt, Heller stellt beinahe keine Fragen. Wir lauschen dem Zirkelgang einer ergebnislosen Diskussion, in die von außen niemand eingreifen kann. „Endogene Depression“ lautet dann auch das Krankheitsbild, das Traudl Junge später in die Berufsunfähigkeit gezwungen hat. Bis kurz vor ihrem Tod hat sie sich anderweitig betätigt – als Vorleserin für Blinde. Ansehen sollte man den Film.

Urs Richter

heute, 20 Uhr, Lichtmeß, Gaußstr. 25