Reizfigur aus dem jugoslawischen Rückraum

Das deutsche Handballteam schlägt bei der WM Tunesien und trifft heute auf Landsmann Nenad Perunicic

PÓVOA DE VARZIM taz ■ Mit 30:21 bezwangen die deutschen Handballer gestern im ersten Hauptrundenspiel Tunesien, doch dass die Entscheidung naht bei dieser 18. Handball-Weltmeisterschaft in Portugal, das zeigt sich auch an den kleinen Begebenheiten am Rande. Eine davon handelt von einem Plausch unter Freunden, präziser formuliert: von einem, der beabsichtigt war.

Just waren sie eingezogen im Novotel von Póvoa de Varzim, diesem mit braungrauen Betonburgen verunzierten Seebad nördlich von Porto, da wollten Nenad Perunicic und Stefan Kretzschmar in der Lobby ihre bisherigen WM-Erfahrungen austauschen. Dass sie heute Gegner sind, wenn das deutsche und das jugoslawische Team um den Halbfinaleinzug kämpfen (15.15 Uhr, ARD), das spielte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle. Sie kennen sich schließlich gut, spielen sie doch nebeneinander beim SC Magdeburg in der Handball-Bundesliga. Aber die ersten Sätze waren kaum gewechselt, da unterband Bundestrainer Heiner Brand die traute Runde und bedeutete seinem Linksaußen, dass er derzeit solche Gespräche nicht gutheißen kann. „Der wollte tatsächlich nicht“, erzählte Perunicic kopfschüttelnd später, „dass wir miteinander reden.“

Selbstverständlich besitzt diese Szene eine Vorgeschichte. Perunicic ist für Brand, den ansonsten kaum etwas aus der Ruhe zu bringen vermag, so etwas wie eine Reizfigur. Es hat nämlich ziemlich viel Wind gegeben um diesen 2,03 m großen Halblinken, als der vor wenigen Monaten die deutsche Staatsbürgerschaft bekam. Es wurde spekuliert darüber, dass der 32-Jährige für Deutschland Tore werfen könnte bei dieser WM. Perunicic sagt heute über diese Zeit, sie sei „ziemlich chaotisch“ gewesen, und er hätte auf den Anruf Brands oder eines anderen Offiziellen gewartet. Vergebens: „Es kam kein Gespräch zustande.“

Bernd-Uwe Hildebrandt, Manager des SC Magdeburg, hat den Deutschen Handball-Bund (DHB) für seine Passivität kritisiert. Daher ist Brand dieses Thema nun ein wenig unangenehm. Jedenfalls flüchtet sich seine normalerweise direkte Sprache auf einmal in doppelte Verneinungen. „Ich habe nie gesagt, dass ich ihn nicht wollte“, sagt er dann zum Beispiel. „Er wäre ohnehin nicht spielberechtigt gewesen“, argumentiert er weiter, da Perunicic noch 2000 in Sydney für Jugoslawien angetreten wäre, der jugoslawische Verband hätte ihn also freigeben müssen. Oder der DHB hätte den Weltstar, der den Ausfall von Daniel Stephan hätte kompensieren können, für viel Geld aus dieser Sperre herauskaufen müssen.

Eine solche Praxis indes ist nicht völlig ungewöhnlich, aber der DHB wurde nicht aktiv. Der eigentliche Grund liegt also woanders. „Ich habe diese Mannschaft in vielen Jahren aufgebaut“, erklärt Brand, „und ich war einfach nicht bereit, sie innerhalb von wenigen Wochen zu ändern.“ Ein Affront wäre das ja auch für junge Spieler wie Pascal Hens gewesen, die jetzt, wo es Ernst wird, auf der Ersatzbank hätten Platz nehmen müssen. „Das hätte ich vor der Mannschaft nicht vertreten können“, sagt Brand. Gemäß seiner Philosophie schenkt er seiner Mannschaft über einen längeren Zeitraum Vertrauen. Kapitän Markus Baur findet die Entscheidung des Trainers deswegen „absolut nachvollziehbar“, auch wenn sich die Deutschen im Spiel gegen Jugoslawien auf einen der besten Rückraumschützen der Welt einstellen müssen.

Und auf den wohl motiviertesten. Denn dass Nenad Perunicic es diesem deutschen Trainer zeigen will, dass er am liebsten die Deutschen ganz alleine abschießen würde, das wissen sie alle. Es wird spannende Zweikämpfe geben am heutigen Nachmittag, der diese Geschichte zu Ende schreibt. Der Ausgang ist offen. ERIK EGGERS