Wirtschaftsweiser wechselt das Lager

Zum zweiten Mal wird Wolfgang Franz Wirtschaftsberater der Bundesregierung – jetzt auf dem Ticket der Unternehmer

BERLIN taz ■ Auf den ersten Blick scheint die Überraschung perfekt. Ein ehemaliger Gewerkschaftsfreund wird von Arbeitgeberseite auf einen der einflussreichsten Wirtschaftsposten Deutschlands befördert. An Stelle des Berliner Arbeitsmarktexperten Michael Burda, der den Posten wegen Zeitmangels abgelehnt hatte, wird nun Wolfgang Franz, Präsident des Mannheimer Zentrums für Wirtschaftsforschung (ZEW), als fünfter Wirtschaftsweiser berufen.

Das einflussreiche Gremium, der so genannte „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“, berät die Bundesregierung über die Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Für den 58-jährigen Franz ist die Aufnahme in den illustren Kreis ein später Triumph, denn er wird dem Gremium bereits zum zweiten Mal angehören. Anders als 1994, als die Gewerkschaften seinem Rat vertrauten und ihn auf den begehrten Posten hievten, soll er dort diesmal allerdings Arbeitgeberpositionen vertreten. Kritiker argwöhnen, dass der Arbeitsmarktexperte, dem die Gewerkschaften 1999 eine zweite Amtszeit verweigerten, heute aus getroffener Eitelkeit zu deren schärfsten Kritikern gehört, und schimpfen ihn deshalb einen Wendehals. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Vor seiner ersten Berufung galt Franz als pragmatischer Neokeynesianer, der den Gewerkschaften in den 90er-Jahren durch sein Votum für die Beibehaltung kollektiver Tarifverträge und für die zumindest teilweise Kontrolle des Marktes durch den Staat aufgefallen war.

Als er aber 1999 am Ende seiner ersten Amtszeit dem Ruf des Sachverständigenrates nach besseren Investitionsbedingungen an Stelle einer Stärkung der Nachfrage und der Kritik an den Steuerplänen der neu gewählten Regierung nicht widersprach, forderten die Gewerkschaften seine Ablösung. Die Union warf dem damaligen Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD) daraufhin eine „stalinistische Säuberungsaktion“ vor.

Danach meldete sich Franz zunehmend als Kritiker an der Politik der Gewerkschaften zu Wort. So geißelte er im Jahr 2000 in einem taz-Interview den Vorschlag einer Rente ab 60 als „ökonomischen Unsinn“. Diese Idee hatte Klaus Zwickel, Chef der Industriegewerkschaft IG Metall, in die Debatte geworfen. Außerdem forderte Wolfgang Franz arbeitgeberfreundliche Tarifabschlüsse unter dem erwarteten Produktivitätszuwachs in den Unternehmen.

Im vergangenen Oktober kritisierte Franz die rot-grünen Koalitionsvereinbarungen als schädlich für Wachstum und Beschäftigung. „Beim Sparen kommt zwar keine Freude auf, aber wenn man systematisch an Reformen geht, dann sagen die Leute: Das ist zwar bitter, aber es geschieht etwas“, so Franz. In jüngster Zeit sprach sich der zukünftige Wirtschaftsweise für die Erhöhung der Mehrwertsteuer, Öffnungsklauseln in Tarifverträgen und die Lockerung des Kündigungsschutzes aus. Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist ihm ein Herzensanliegen.

Die Beschäftigten, so Franz, sollten sich doch bitte an den Kosten beteiligen, die die Arbeit der Betriebsräte verursache.

So scheint die Berufung von Franz in den Sachverständigenrat heute weniger als Überraschung denn als Folge eines konsequenten Weges vom einen ins andere Lager. INA KÖHLER