Deregulierung für mehr Wachstum

Bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts plädiert Minister Wolfgang Clement für lockeren Kündigungsschutz und Überprüfung des „gesamten Arbeitsrechts“. Experten bezweifeln selbst die niedrige Wachstumsprognose für 2003

aus Berlin BEATE WILLMS

Die Zufriedenheit war ihm anzumerken. Nicht über die wirtschaftliche Entwicklung, wohl aber darüber, die Grundsatzkompetenz und damit die Hoheit über den Jahreswirtschaftsbericht wieder in das Wirtschaftsministerium zurückgeholt zu haben, die zuletzt der Finanzminister innegehabt hatte. Denn so musste Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) zwar die heruntergesetzte aktuelle Prognose der Bundesregierung für das laufende Jahr verkünden, gleichzeitig hatte er aber die Chance, seine eigenen Reformvorhaben noch einmal herauszustreichen. Und die nutzte er weidlich. Sein Motto bei der Vorstellung des mit 68 Seiten recht dünn ausgefallenen Berichts: „Das Jahr 2003 wird das Jahr der entscheidenden wirtschafts- und finanzpolitischen Weichenstellungen.“

Trotzdem lohnt der Blick auf die Prognose, die die Grundlage für den Haushalt bildet, auch wenn sie erfahrungsgemäß mit Skepsis zu betrachten ist – in den letzten zehn Jahren lagen die Regierungsvorhersagen achtmal weit über dem tatsächlichen Wachstum. In diesem Jahr sind schon die offiziellen Zahlen sehr niedrig: Clement revidierte die bisherige Erwartung von 1,5 auf nunmehr 1,0 Prozent Wachstum. Die durchschnittliche Erwerbslosenzahl soll auf 4,2 Millionen Menschen steigen. Nichtsdestoweniger glaubt Clement, ein neues Defizitverfahren der Europäischen Kommission vermeiden zu können: „Bei 1,5 Prozent BIP-Zuwachs hätten wir ein Defizit von 2,75 Prozent gehabt“, so Clement. Bei einem Prozent Wachstums seien es 2,85 Prozent.

Viele Experten stellen jedoch nicht nur diese Rechnung, sondern selbst die ein Prozent Wachstum in Frage. Denn laut Jahreswirtschaftsbericht soll der Export mit einem Plus von 4,5 Prozent der treibende Faktor bleiben. Ob das angesichts des starken Euro zu erreichen ist, bezweifelt selbst der Sachverständigenrat. Er sagt nur 3,6 Prozent vorher. Das größte Risiko liegt aber unzweifelhaft in der weltpolitischen Lage. Denn die Schätzung der Bundesregierung gilt nur für den Fall, dass es keinen Krieg gegen den Irak gibt.

Ein Alternativszenario gibt es nicht – anders als etwa bei der Deutschen Bank. „Das wäre nicht kalkulierbar“, meinte Clement auf Nachfrage. Wichtiger als sich um die konkreten Zahlen zu streiten, sei es, Strukturen und Reformen voranzutreiben. Seine Rezepte dafür sind schon aus den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit bekannt und lassen die Alarmglocken bei manch einem aufrechtem Sozialdemokraten nur so schrillen. Konzentrieren sie sich doch ausschließlich auf die Verbesserung der Angebotsbedingungen: Man müsse „die Hürden vor mehr Beschäftigung schleifen“ und „die Beschäftigungsschwelle absenken“, erklärte Clement. Dazu gehöre der Umbau der Sozialsysteme und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Auch die Lockerung des Kündigungsschutzes sei noch nicht vom Tisch, auch wenn er damit in der Fraktion, die durchaus „reformbereit“ sei, Kritik geerntet habe. Der Minister erklärte, er habe sogar schon damit begonnen, das gesamte Arbeitsrecht zu überprüfen. Der Unterstützung des Bundeskanzlers zeigte er sich dabei gewiss: „Ich bin jedenfalls nicht von Kündigung bedroht“, sagte er.

Angesichts dieser Aussichten mäkelte die Opposition denn auch vor allem an den „nur halb wahren Zahlen“ herum und machte ansonsten Druck, die geplanten Reformen voranzutreiben. Ähnlich reagierten die Vertreter der Wirtschaftsverbände, die sich allerdings grundsätzlich misstrauisch zeigten, ob denn die Pläne auch umgesetzt würden. In eine ganz andere Richtung ging dagegen die Kritik der Gewerkschaften. Die Bundesregierung müsse mit mehr öffentlichen Investitionen Konjunktur und Wachstum unterstützen, sagte DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer. Und die Bundesregierung solle sichbei der Europäischen Zentralbank für Zinssenkungen einsetzen.

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