Eine andere Welt als die O2-World

Für und wider die verfickte Rückkehr des Dissens: Robert Stadlober und Patrick Wagner, die Chefs der Labels Siluh und Louisville, tun sich zusammen und wollen der Welt den bösen Rock & Roll zurückbringen. Heute Abend im White Trash

Ganz großes Rock-&-Roll-Theater gibt es heute im White Trash: Louisville Records und Siluh vereinen zum Auftakt der diesjährigen Popkomm ihre Kräfte und schlagen alles kurz und klein. Diese Bands werden dabei sein: Killed By 9V Batteries, Jolly Goods, Navel, Asaf Avidan (ISR), Kissogram. Zwischen den Gigs und danach werden DJ Philip L’Heritier und Lesstalkmorerock Platten auflegen.

Man kann natürlich auch auf das Festivalgelände der Kulturbrauerei gehen, Dutzende von Konzerten warten dort, unter anderem Tomte und Ane Brune. Im Postbahnhof gibt es die große City-Slang-Nacht, u. a. mit Get Well Soon. Im Maria am Ostbahnhof spielen die Junior Boys und Tricky. Der Rote Salon ist voller dänischer Acts und im Watergate gibt sich das Berliner Electrohouse-Label Get Physical die Ehre.

INTERVIEW RENÉ HAMANN

taz: Robert Stadlober und Patrick Wagner, bitte fasst einmal in drei Sätzen zusammen, welches Konzept hinter eurer neuen Zusammenarbeit steckt. Und was auf diesem Popkomm-Abend passieren soll.

Wagner: Ein gemeinsamer Abend zweier relativ unbedeutender Labels, Siluh und Louisville. In Anbetracht der Entwicklungen, die gerade so stattfinden, haben wir gemerkt, dass es keinen Sinn hat, nach Anerkennung oder Liebe zu suchen. Ein Konzert läuft heutzutage sehr kontrolliert ab. Man weiß, was man erwartet, man weiß, was man bekommt, und dann geht man nach Hause. Wir wollen das nicht. Wir machen einen Abend für uns. Einen, wo man nicht weiß, was passiert. Wir gehen das mal härter an.

Was wird denn auf der Bühne groß anderes passieren?

Wagner: Auf der Bühne stehen erst einmal unsere Bands. Die Bands, die da spielen, sind extrem konsequent. Ich glaube, die Leute, die auf ein Konzert gehen, wollen nicht mehr bloß eine Kulisse sein wie bei einer Bundesligaübertragung.

Stadlober: Die meisten Konzerte sind mittlerweile so langweilig wie ein Cinemax-Besuch.

Die meisten wollen es gar nicht anders.

Stadlober: Das glaube ich nicht! Das hat sich so eingebürgert. Mit 14 ist man noch auf ein Konzert gegangen und wollte sich auf was einlassen, wusste nicht, wie man nach Hause kommt. Da wollte man sehen, was am Abend geht. Unvoreingenommen in die Nacht rauspreschen und später sagen: Krass, das habe ich so gar nicht erwartet. Darum geht es. Mittlerweile ist Musik bis hin zum Indie-Konzert doch zu einem Lifestyle-Gadget geworden.

Wagner: Ein Label zu machen ist kein Spaß. Das hat inzwischen das Niveau von Briefmarkensammlertum. Ich glaube aber, dass es eine Sehnsucht danach gibt, die Kontrolle zu verlieren.

Stadlober: Alle sind in diesem Wahnsinn drin, dass sie denken, nach einem bestimmten Schema funktionieren zu müssen. Bis hin zu den Musikern. Musik wird nicht mehr als Reise wahrgenommen, sondern als Karriereoption. Total trist: Entweder schaffe ich es, einen Hit zu haben, oder nicht. Und kann dann vielleicht drei Jahre davon leben. Unsere Künstler denken über so was gar nicht nach.

Vor zwanzig Jahren war das auch schon so. Da gab es das Formatradio als Feind.

Stadlober: Da konnte man den Feind noch erkennen. Heute ist der Feind diffus geworden. Man kann ohne den Feind ja gar nicht mehr stattfinden. Kein Festival ohne Sponsoren. Aber wir wollen auch nicht jammern. Wir sind nur gegen das Vorgefertigte, gegen die üblichen Kanäle.

Wagner: Es führt dazu, dass die Kunst platt wird. Ich hatte eine Diskussion mit Jeans Team, die einen Song gegen das Alexa machen wollten. Das fand ich total problematisch! Alles lebt im Verhältnis zu den Alexa-Arkaden, nichts lebt mehr für sich! Das ist nicht gut. Bitte nicht so reißerisch werden! Ich meine, gibt es denn keine andere Welt mehr als die O2-World? Warum macht denn keiner einfach mehr, was er will? Ich glaube schon, dass es da ein Bedürfnis gibt – es scheint nur schwer zu sein, das zu kommunizieren. Unsere Haltung ist: Fuck You All! Es gibt eine andere Welt!

Zum Beispiel?

Wagner: Die Jolly Goods. Kann man eigentlich nicht hören, die Platte. Ist aber supergut. Aber da werden wir gefragt: Dreht das denn was um? Nein, die Platte hat sich eigentlich gar nicht verkauft. Aber das ist total in Ordnung. Und es ist total wichtig, so Leute, die sie nicht reinquatschen lassen, zu zeigen.

Klingt aber auch nach einer Luxushaltung.

Wagner: Ich hatte einen Job, wo ich 60.000 Mark im Jahr verdient habe, das war toll. Aber das wollte ich nicht mehr machen. Jetzt bin ich offiziell arbeitslos. Die meisten Labels fahren so ein Instant-Revenue-Denken. Die könnten auch einfach Excel-Tabellen veröffentlichen. So hört sich das meiste nämlich auch an.

Aber jetzt erzählt mal, was es mit diesem Charity-Abend auf der Popkomm auf sich hat.

Wagner: Es wird zwei Frauen mit einem Bauchladen geben. Da kann man was spenden und erhält ein Bändchen und sämtliche Platten von uns, also Louisville und Siluh, umsonst. Das Zweite ist: Wir werden da eine Kamera aufstellen. Und dann muss jeder, der mit so einem Popkomm-Badge kommt, vor der Kamera eine dieser Bands auf unserer Liste so hart wie möglich dissen. Das geht von Hot Chip über The Notwist, Franz Ferdinand und Tomte. Eine Liste mit zehn Bands. Spontan aus dem Bauch raus. Das Ganze kann man sich dann auf Youtube anschauen, da haben wir natürlich eine Kooperation gemacht. Ich weiß einfach, die Leute kommen, wenn sie betrunken sind, wieder zurück und legen dann so richtig los. Am Ende wird das beste Label der Welt gekürt. Das wird dann von einer von uns beiden besetzten Jury bestimmt. (lacht) Meine Frau ist auch noch dabei. (lacht weiter)

Da kann man sich vorstellen, wer gewinnt.

Stadlober: Heute ist ja alles „okay“. Alle sind okay, alle sind nett. Juli sind nett, Tomte sind nett. Und das ist nicht okay. Das Lustige an der englischen Popkultur, wo das Dissen noch verbreitet ist, ist ja, dass durch Dissen Sachen entstehen.

Die Kultur des Dissens ist ja etwas in Vergessenheit geraten.

Wagner: Die Notwist-Platte zum Beispiel, die ist doch unerträglich! Die haben Großes geleistet, aber die neue Platte ist einfach nicht alright. Da muss jetzt mal irgendjemand sagen: Leute, jetzt ist Schluss. Zieht nach New York oder macht sonst irgendwas.