Schwankende Bretter

Als DJs bringen Wladimir Kaminer und Juri Gurzhi in Berlin die Gäste ihrer „Russendisko“ auf Trab. Nun sind ihre Lieblingshits auf CD erhältlich

von ANNA-BIANCA KRAUSE

Menschen und Moden kamen und gingen, nur die Velourornamente an der Wand sind geblieben. Das Kaffee Burger in Berlin-Mitte ist eine alte Tanzwirtschaft, in der seit rund hundert Jahren geschwoft wird. Im November 1999 tauchten dort zwei kleine Männer mit großen Stapeln Platten, Kassetten und CDs auf und jagten dem Staub, der sich gemütlich eingenistet hatte, einen gehörigen Schrecken ein. Zweimal monatlich bricht seitdem die „Russendisko“ aus, eine Kombination aus heftigem Paargehopse, ausgiebigem Alkoholgenuss und guter Laune, welcher die beiden Protagonisten, Wladimir Kaminer und Juri Gurzhy, mit russischer Musik anzuheizen wissen.

Nicht erst seit Kaminer das Ereignis in einem Buch gleichen Titels verewigt hat, sind die bunten Abende vielen ein Begriff. Die regelmäßige Festivität ist auch eine der wenigen Möglichkeiten, russische Musik abseits des Mainstream kennen zu lernen, der in Russland seine Herkunft ebenso vertuscht wie anderswo, um international zu klingen. Sechzehn Songs haben in den vergangenen drei Jahren dabei ihre Tanztauglichkeit so weit bewiesen und stehen in der Gunst der beiden DJs wie des Publikums so weit oben, dass sie nun auf die CD „Russendisko Hits“ gelangt sind, welche das ungleiche DJ-Pärchen kürzlich zusammengestellt hat.

Juri Gurzhy hat die nervenaufreibende Vorarbeit für den Sampler geleistet, hat recherchiert, kontaktiert und debattiert. In Russland erfolgreiche Bands wollten utopische Gagen, benötigte Platten waren vergriffen, andere Songs nur auf Kassette veröffentlicht worden. Und manche Künstler, wie der Sänger der Band Noll, der zuerst im Gefängnis, dann in der Psychiatrie festsaß, waren so schwer zu erreichen, dass ihr Song erst auf einer bereits geplanten Fortsetzung veröffentlicht werden wird.

Ausgewählt wurden die Songs weder nach stilistischen noch nach zeitlichen Kriterien: von Polka über Punk, von Rock über Ska bis Klezmer ist bei der Russendisko alles erlaubt, Hauptsache es ist gegen den Strich gebürstet und bewegungsanregend. „Ich würde nicht behaupten, dass das, was wir präsentieren, das ist, was in Russland passiert. Es ist nur ein Blick auf die Szene, aus dem Westen, aus der Perspektive der Russendisko-DJs“, sagt Juri Gurzhy und freut sich, dass die Entfernung eine andere Annäherung ermöglicht. „Die Leute, die aus Russland zu uns kommen, sind manchmal überrascht, wie wir die Musik zusammenmischen.“

Jeder Track hat seinen eigenen Spleen: Ob es ein Rockstandard mit Humpa-Stimmung ist, der Nogu Svelo aus Moskau ausmacht, die leicht schwankenden Latin-Rhythmen der Petersburger Ska-Band Markscheider Kunst oder die Musik der Red Elvises, die in Kalifornien ihr russisches Rock-’n’-Roll-Unwesen treiben. Manche davon, wie die Band Leningrad aus St. Petersburg, sind auch in Russland erfolgreich. Andere, wie der Exileste Leonid Soybelman, sind Sumpfdotterblüten aus Berlin. Und Juri Gurzhy selbst, der auch Musiker ist und vor drei Jahren die Ukraine verließ, um nach Deutschland zu kommen, ist auf dem „Russendisko“-Sampler mit dem Kraftwerk-Klassiker „Die Roboter“ vertreten, den er mit seiner Band RotFront eingespielt hat. In ihrer Version wird auf Russisch gesungen, auf Englisch gerappt, Akkordeon gespielt, wo sonst Elektronik herrscht, und ein entzückender Jungmädchenchor zwitschert den Refrain.

„Russendisko Hits“ (Trikont/Indigo)