Sicherheitsgutachten bleibt geheim

Das nach den Terroranschlägen auf die USA versprochene Gutachten zum Schutz deutscher Atomanlagen ist endlich fertig. Umweltstaatssekretär Rainer Baake übergab es gestern den Landesumweltministerien – ohne Inhalte bekannt zu geben

von NICK REIMER

Deutschland ist um ein Staatsgeheimnis reicher: Rainer Baake, Staatssekretär von Umweltminister Jürgen Trittin, übergab gestern seinen Landeskollegen eine Studie zur Sicherheit deutscher Atomanlagen gegen Terrorangriffe. Autor der Studie: die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GmbH (GRS) aus Köln. Inhalt: unbekannt. Ein Mitarbeiter Baakes erklärte der taz: „Wegen der Brisanz unterliegt die Studie einem hohen Geheimhaltungsgrad.“

Am Golf marschieren die Soldaten auf, Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) denkt über den Abschuss entführter Flugzeuge nach, über Frankfurt kreiste jüngst ein solches. Können deutsche Atomanlagen einem Terrorangriff standhalten, ohne dass der Super-GAU folgt? „Wir haben den Auftrag als Folge der Terroranschläge erhalten“, sagt Hans Peter Butz, GRS-Sprecher. Schon aus Loyalitätsgründen gegenüber dem Auftraggeber könne er über Inhalte nichts sagen. Nur so viel: Es ging nicht darum, Terroranschläge zu verhindern – „Das kann man grundsätzlich nicht“ –, sondern lediglich darum, die Widerstandsfähigkeit der Anlagen auszuloten. „Aus nahe liegenden Gründen ist das Ergebnis nicht für den öffentlichen Markt bestimmt.“ Die Studie sei eine rein technische Analyse. Butz: „Was die Politik daraus macht, ist Sache der Politik.“

Die Politik begründet die Geheimhaltung mit dem Strahlwert, der von diesen Informationen ausgehen kann. Man wolle Terroristen ja nicht über Schwachstellen informieren, so das BMU. Nach Recherchen der taz liefert die Studie den zuständigen Landesumweltministerien einen Leitfaden zur Risikoberechnung. Anhand von mathematischen Formeln sollen Schwachstellen analysiert, zu deren Behebung dann wiederum Gutachten angefordert werden. Nach dem Willen von Jürgen Trittin sollen Attacken auf Atomanlagen mit entführten Jets nicht nicht mehr unter die Kategorie „Restrisiko“ fallen. Das hätte zur Folge, dass auf die Betreiber milliardenschwere Umbaukosten zukommen. Entsprechend groß ist der Druck auf Trittin.

„Die Sicherheit darf kein Geheimnis bleiben“, kritisiert auch Bettina Dannheim, Atomexpertin von Robin Wood. Greenpeace-Experte Matthias Edler: „Es gab eine gleichlautende Untersuchung zu konventionellen Industrieanlagen. Deren Ergebnisse wurden vor einem Jahr veröffentlicht.“ Wenn die Studie jetzt so brisant sei, dass nicht einmal Auszüge oder Systematik veröffentlicht werden, zeige das doch: „Es gibt keinerlei Schutz.“ Insofern gelte, was die Reaktorsicherheitskommission (RSK) seinerzeit noch verklausuliert gesagt habe. Dannheim: „Atomanlagen sind gegen Terror nicht zu schützen.“

Tatsächlich ist die einzige belastbare offizielle Aussage zum Problem eine Stellungname der RSK, einen Monat nach den Attentaten veröffentlicht. Nach dieser ist in den neueren Kernkraftwerken (Errichtungsgenehmigung nach 1973) ein „ausreichender Schutz gegen die Auswirkung eines Absturzes einer schnell fliegenden Militärmaschine (Aufprallgeschwindigkeit 774 km/h)“ gewährleistet. Bei älteren Anlagen liegt ein „geringerer Schutzgrad vor“, der „anlagenspezifisch unterschiedlich ist“. Bei einem gezielten Angriff mit einem großen Jet aber müssten mehr „mechanische Belastung“ und eine „höhere Aufprallgeschwindigkeit“ berücksichtigt werden.

Die RSK forderte seinerzeit, diese Auswirkungen zu prüfen. „Seit anderthalb Jahren drängen wir, dass diese Gutachten endlich erstellt werden“, erklärte gestern RSK-Chef Michael Sailer: „Das öffentliche Interesse an einer Sicherheitsaussage zu den deutschen Atomanlagen ist völlig nachvollziehbar.“