Uns ist der Spaß vergangen

Dirk Stermann und Christoph Grissemann zählen in Österreich zu den ätzendsten Satirikern – und nahmen doch am Grand-Prix-Vorentscheid teil. Sie scheiterten denkbar knapp. Und wollen es nie wieder probieren

Interview ARNO FRANKund CORINNA STEGEMANN

taz.mag: Sie beide waren voriges Jahr bei der österreichischen Grand-Prix-Vorentscheidung dabei und wurden Zweiter. Wie knapp war es denn?

Grissemann: Da ging es nur um wenige Stimmen. Aber ich hatte den Eindruck, dass die ORF-Bosse von vornherein wussten, dass wir nicht gewinnen würden. Mein Eindruck war, dass es bei der Auszählung nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.

Stermann: Es gab ja einen Plagiatsvorwurf gegen die Sieger. Die wurden dann disqualifiziert. Darauf wurde der ORF gefragt, ob das bedeute, dass nun die Zweitplazierten, also wir, aufrücken …

Grissemann: Normalerweise ist das so.

Stermann: Doch es hieß, man werde den zweiten Platz neu ausschreiben.

Grissemann: Da merkt man schon, dass die mit uns nichts zu tun haben wollten.

Stermann: Nach der Veranstaltung war es auch nicht so, dass jemand vom ORF zu uns gekommen wäre, um zu sagen „Schade, dass ihr nur Zweite geworden seid“ oder „Toll, Zweite“. Das Einzige, was man zu uns sagte, war: „Es ist alles mit rechten Dingen zugegangen.“

Und aus welchen Gründen wäre eine Manipulation des Ö3 vorstellbar?

Stermann: Unser Sender fm4 steht in Konkurrenz zu Ö3.

Grissemann: Und Stermann ist Deutscher. Das hätte das Land nicht ertragen, wenn ein Deutscher Österreichs Grand Prix gewonnen hätte.

Stermann: An dem Abend der Vorentscheidung selbst waren zwischen fünfhundert und tausend Leute in dem Fernsehstudio. Bei unserem Beitrag hat mindestens die Hälfte des Publikums gebuht, was sehr ungewöhnlich ist. Normalerweise geht es auf solchen Veranstaltungen doch eher freundlich zu.

Grissemann: Dazu muss man sagen, dass diese Leute natürlich alle Freunde und Bekannte der anderen Starter waren. Alles ausgebildete Musiker oder Sänger, aber wir hatten die größte Medienaufmerksamkeit. Das haben die natürlich gehasst, dass wir zwei völlig untalentierte Musikanten denen an Reklame mehr oder weniger alles weggenommen haben. Ich kann schon verstehen, dass die sauer waren.

Ihr Beitrag war nicht als ironische Aktion oder als Spaß gedacht? Sie wollten wirklich gewinnen?

Grissemann: Wir wollten kein Spaßlied singen. Das wäre auch vier Jahre zu spät gewesen, nach Stefan Raab und Guildo Horn mit etwas Witzigem oder Alternativem aufzutreten.

Dennoch hatten Sie Menschen in Bärenkostümen in Ihrer Begleitung, die zu Ihrem Lied tanzten. War das nicht witzig gemeint?

Grissemann: Naja, die Bären waren Teil einer Gagkultur. Grönemeyer hat auch einen Bären in seinem Video, ohne dass sein Lied deswegen ein Scherzlied ist. Und unser Lied ist auch kein lustiges Lied gewesen.

Stermann: Es war ein schönes Lied.

Es heißt ja auch „Das schönste Lied der Welt“.

Grissemann: Es ist eher so ein Kinderlied. Schlecht gesungen natürlich, aber nicht, weil wir lustig sein wollten. Wir hätten es schon gerne gut gesungen, wenn wir gekonnt hätten.

Wenn Sie mit einem Lied antreten, das „Das schönste Lied der Welt“ heißt, hört man es ironisch. Ihr Song ist doch genau das, was fast jeder Grand-Prix-Beitrag von sich behauptet zu sein. Wenn jemand mit so einem Titel zur Vorentscheidung geht, wirkt das wie ein feindlicher Akt.

Stermann: Der Titel war offenbar wirklich genial. Er sagte: „Schaut her, wir haben das schönste Lied der Welt. Wir müssen also gewinnen.“

Also doch Ironie?

Stermann: Natürlich war es kein ganz ernstes Lied. Der Auftritt der Bären hatte ja ein irritierendes Moment, denn sie machten überhaupt keinen Sinn. Einer von denen hatte ein Schild um den Hals, auf dem „Problem“ stand. Das war unfassbar treffend, für alles. Auch darauf, was der ORF offensichtlich für ein Problem damit hatte, dass wir bei denen in dieser Show auftraten. Es war ja eine Livesendung, und die hatten schreckliche Angst, dass wir dort irgendetwas machen …

Die Veranstaltung sprengen?

Stermann: Ja. Es gab im Vorfeld wochenlang Streit um unseren Auftritt. Noch am Tag zuvor machte man uns das Angebot, wir könnten zwar auftreten, aber außerhalb der Wertung.

Warum außerhalb der Wertung?

Stermann: Weil wir die Vorentscheidung in unserer Radiosendung ja parallel kommentierten. Was die anderen auch als unglaublich ungerecht fanden. Wir sind kommentierend und moderierend vom Radiostudio zur Bühne gelaufen, haben unsere Radiomikros gegen die Gesangsmikros getauscht, haben unser Lied gesungen und sind dann moderierend den Weg wieder zurückgelaufen.

Sie kommentieren den österreichischen Grand Prix schon seit Jahren in Ihrer Radiosendung, indem Sie parallel zur TV-Übertragung Ihren Kommentar darüber legen. Das scheint ein optimales Beispiel dafür, wie das Radio das Fernsehen entern kann.

Stermann: Ja, das halte ich nach wie vor für eine gute Idee, aber wir werden jetzt damit aufhören.

Grissemann: Wir haben das sieben Jahre gemacht, aber inzwischen hat es sich totgelaufen.

Das hängt aber nicht mit Ihren schlechten Erfahrungen und Ihrer Zweitplatzierung zusammen?

Grissemann: Nein, das war vorher schon klar. Wir wollten es ein letztes Mal kommentieren und als Schlusspunkt auch in der Vorentscheidung selbst auftreten.

Das heißt, Sie trennen sich auch ganz von dem Thema Grand Prix?

Grissemann: Ja, vollkommen. Es hat sich alles etliche Male wiederholt. Wir konnten es uns am Schluss gar nicht mehr anschauen. Außerdem ist der Grand Prix sowieso schon in den Händen von tausend anderen Spaßmachern.

Das ist wohl genau das Problem: Alles ist so aufgeladen mit Hintersinn und Augenzwinkern.

Stermann: Als unsere Sendung zum ersten Mal in Berlin übernommen wurde, im Jahr von Guildo Horn, waren wir damit im Tempodrom. Dort waren ganz viele aus der Schwulencommunity, die das Ganze sehr ernst genommen haben. Die wussten überhaupt nicht, wie ihnen geschieht, die kannten uns ja gar nicht: Plötzlich kamen da so affige Typen aus Österreich, die das kommentierten und so komisch daherredeten. Kein Mensch wusste, was das sollte.

Und es gab rasenden Unmut.

Stermann: Ja. Der letzte Starter kam aus Mazedonien. Wir taten so, als wäre das ein Raumpfleger und sagten: „So, das war’s.“ In dem Moment sind die Leute auf die Bühne gestürmt und riefen „Schaltet die Faschisten aus Wien ab!“ Die Mitarbeiter der Produktionsfirma aus Berlin haben sich quasi versteckt, ganz unangenehm. Das fand ich schon merkwürdig, dass eine solche Aufregung bei so etwas Idiotischem wie dem Grand Prix möglich ist.

Grissemann: Ich kann das verstehen. Es ist so, als wäre man ein Fußballfan. Da kann man auch keine ironischen Kommentare abgeben. Und wenn du ein echter Grand-Prix-Fan bist, dann magst du es nicht, wenn sich zwei Typen darüber lustig machen. Und das war bei uns der Fall.

Stermann: Damals hat das jedenfalls noch Spaß gemacht, aber inzwischen ist der ganze Spaß vergangen.

Grissemann: Hinzu kommt, dass der Druck gestiegen ist. Mir fällt zu dem Thema überhaupt nichts mehr ein. Nachdem ja das ganze System in sich mittlerweile satirisch unterlaufen ist. Von 27 Startern sind ja mindestens zehn Witzstarter, so Gagtypen. Für beißende Kommentare ist die Veranstaltung gestorben.

Wenn es Ihnen schon so zum Hals raushing, warum sind Sie dann überhaupt noch selbst angetreten?

Stermann: Das war die Idee eines Herrn von Universal Music Austria.

Hätte es Sie auch gereizt, für die taz anzutreten?

Grissemann: Wäre es letztes Jahr gewesen, wäre ich lieber für die taz angetreten als für Universal Music. Aber wir hatten mit denen einen guten Vertrag, und jetzt noch einmal für Deutschland teilzunehmen – das hätte ja etwas ganz Armseliges.

Stermann: Wir hätten ja hier auch nicht die geringste Chanche, hier kennt uns ja keiner. Wir würden Allerletzte werden.

Grissemann: Die Demütigung wäre zu groß ausgefallen.

Glauben Sie, dass Sie voriges Jahr in Tallinn Siegeschancen gehabt hätten?

Stermann: Nein. Das ist auch etwas, was die Österreicher nicht begriffen haben: Zu uns sagten sie, wir hätten in Tallinn doch eh keine Chance, es sei doch besser, jemanden hinzuschicken, der wenigstens singen kann. Als sei das die Frage. Österreich kann nicht gewinnen. Die Skandinavier geben sich die Punkete untereinander …

und die südlichen Länder sind sich ebenfalls gewogen.

Stermann: So ist es. Da hätte man besser Typen wie uns schicken können und damit mehr Würde bewahrt, statt zu betteln: „Gebt uns Punkte, gebt uns Punkte.“

Kennen Sie die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“?

Grissemann: Ja, in Österreich heißt sie „Starmedia“. Ich switche immer hin und her. Beide Sendungen dokumentieren doch, wie unendlich spießig die junge Generation ist. Unfassbar. Da ist gar nichts von einer Rebellion, die doch Pop eigentlich innewohnt. Das ist doch nur noch die dritte Klasse von irgendwelchen Musicaltypen – geleckt, geschleckt – extrem widerwärtig.

Hören Sie selbst gerne Schlager, schauen Sie sich den Grand Prix an?

Stermann: Grissemann hat ihn sich immer schon angeschaut, weil sein Vater den lange ernsthaft für das österreichische Fernsehen kommentiert hat. Ich selbst habe den aber vorher nie gesehen, er interessiert mich nicht. Ich werde ihn auch dieses Jahr nicht mehr sehen.

Grissemann: Ich schon.

ARNO FRANK, Jahrgang 1971, ist taz-Medienredakteur; CORINNA STEGEMANN, Jahrgang 1966, wirkt in der taz-Wahrheitsredaktion