Mit etwas Mut und Spucke

Rot-Grün geht nicht nur, es hat auch das Zeug zum Erfolg. Das große Ziel wird sein, die Menschen zu überzeugen, in Bremen zu bleiben und sich wieder der Politik zuzuwenden

Bitter, aber wahr: Rot-Grün wäre schon dann ein Erfolg, wenn endlich mal mit richtigen Zahlen gerechnet würde

von Jan Köhler

Einigkeit im Rathaus, ein Image von Entscheidungsfreudigkeit, Frieden mit der Handelskammer, eine beeindruckende Resistenz gegenüber schlechten Nachrichten, und Sichtbares wird gut verkauft. Alles in Butter mit der großen Koalition – könnte man meinen. Die Realität sieht anders aus. Bremen hat acht Jahre nach Beginn der „Sanierungskoalition“ deutlich mehr Schulden als vorher, die Lage am Arbeitsmarkt sieht alles andere als rosig aus, und Bremen ist auch nicht die Stadt geworden, die neue EinwohnerInnen wie ein Magnet anzieht. Die große Koalition hinterlässt einen haushaltspolitischen Scherbenhaufen, der es jeder neuen Regierung schwer macht, eigene Projekte zu entwickeln.

Bremen leidet unter einer Sanierungspolitik, die in ihrer Schwerpunktsetzung falsch ist. Sicher: Einige Projekte, die unter dem Sanierungs-Ticket laufen, sind gut und richtig. Mehr Geld für Wissenschaft und Hochschulen, der Versuch, den Strukturwandel in Bremen vernünftig voranzutreiben, eine höhere Priorität für Kultur und der Umbau der Schlachte – das waren gute Entscheidungen aus der Ampel-Zeit, die sich die große Koalition heute gerne ans Revers heftet.

Aber es bleibt festzuhalten, dass solche Projekte nicht den Schwerpunkt der Sanierungspolitik ausmachen. Wer sich die originär groß-koalitionären Sanierungsprojekte anguckt, wird schnell ein Muster feststellen. Die überflüssigen Gewerbeflächen in der Hemelinger und Arberger Marsch, die Schicki-Micki-Pferderennbahn, die Pleite mit dem Büropark in Oberneuland, der Unsinn mit dem Wohnungsbau im Überschwemmungsgebiet in Brokhuchting, der städtebauliche Quatsch mit der Georg-Bitter-Trasse, die Übernahme der Kulturpolitik durch das Wirtschaftsressort (Musical-Desaster) und oben drauf noch das Einkaufszentrum mit Rakete, das sich noch nicht einmal dann rechnet, wenn es so viele Besucher hat wie Euro-Disney in Paris – all das war die Sanierungspolitik der großen Koalition: Wirtschaftsförderungspolitik der 70er, Träume in Beton. Es ging immer nur darum, kurzfristige, meist nur scheinbar existierende wirtschaftspolitische Interessen gegen den Widerstand der Betroffenen durchzusetzen. Und diese Ideologie hat die große Koalition dann auch noch teilweise stümperhaft umgesetzt. Man hätte wohl erwarten dürfen, dass eine Regierung mit seriösen Zahlen realistische Prognosen über die Rentabilität des Einsatzes von Steuermitteln erarbeiten würde – Pustekuchen. Das Musical ist nicht die einzelne Fehlplanung, die jemandem mal unterlaufen kann, der sonst viel Sinnvolles tut. Bitter, aber wahr: Rot-Grün in Bremen wäre schon dann ein Erfolg gegenüber der jetzigen Politik, wenn endlich mal mit richtigen Zahlen gerechnet würde.

Die Orgie des Geldausgebens war Bestandteil einer Dynamik, an der die SPD wesentlichen Anteil hatte. Dennoch: Auch in der SPD gibt es Ansätze, die einseitige Ausrichtung des Sanierungskurses zu verändern. Die Grünen stellen mehr Lebensqualität in den Mittelpunkt ihrer Politik. Das schließt die ökologische Frage ebenso ein wie konsequentes Umdenken in der Bildungspolitik. Der neuen Koalition muss es gelingen, Menschen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, in Bremen zu bleiben bzw. nach Bremen umzuziehen. Zaghafte Ansätze für eine solche Politik sind in der SPD erkennbar – mit rot-grün werden sie Wirklichkeit.

Bildungspolitik wird eine der großen Herausforderungen in der nächsten Legislaturperiode sein. Die wenigen Gemeinsamkeiten von CDU und SPD in diesem Bereich sind schon längst aufgebraucht. Eine rot-grüne Koalition ist in der Lage, eine Bildungspolitik aus einem Guss zu machen, weil SozialdemokratInnen und Grüne sich in der Grundausrichtung einig sind: Wir wollen nicht SchülerInnen nach der 4. Klasse in „Begabungs“-Schubladen stecken, aus denen sie nicht wieder herauskommen, sondern wir wollen eine bestmögliche individuelle Förderung jedes einzelnen. Mit etwas Mut und Spucke kann die Bildungspolitik die große Erfolgs-Story einer neuen, rot-grünen Koalition werden.

Es muss in der nächsten Legislaturperiode gelingen, wieder mehr Menschen für Politik zu begeistern. Als im Beirat Schwachhausen die „Horner Spange“ auf der Tagesordnung stand, saßen 150 Menschen im Publikum. Sie alle waren sich einig, dass dieses Projekt Mumpitz ist. Lediglich die Beiratsmitglieder der CDU und der SPD ließen sich durch kein Argument beeindrucken und stimmten so, wie die große Koalition im Rathaus es wollte. Diese 150 ZuschauerInnen gingen nach der Veranstaltung schweigend nach Hause, als ob sie gerade auf einer Beerdigung gewesen wären.

Die große Koalition ist resistent gegen Argumente. Es geht bei der Beteiligung von BürgerInnen nicht nur darum, dass diejenigen, die von einer Maßnahme betroffen sind, am besten selbst über sie entscheiden können. Es geht auch darum, dass das richtige Argument gewinnt. Manche/r hält eine große Koalition für besser geeignet, in schwierigen Zeiten Unpopuläres durchzusetzen. Die Grünen sind davon überzeugt, dass gerade in schwierigen Zeiten Politik nur dann richtige Entscheidungen treffen kann, wenn sie sich gemeinsam mit den BürgerInnen auf die Suche nach dem besten Argument macht. Aufgabe einer neuen Koalition wird es sein, die 150 Menschen aus Schwachhausen und all diejenigen, die sich in den letzten acht Jahren von der Politik abgewandt haben, wieder zurück zu gewinnen.

Voraussetzung dafür ist, dass der Senat moralische Integrität zurückgewinnt. Wenn die Staatsanwaltschaft Anklage gegen einen leitenden Beamten im Bauressort wegen Korruptionsverdacht erhebt und weitere Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, ist das schon schlimm genug. Geradezu abenteuerlich ist es jedoch, wenn dann auch noch der Justizsenator, der die Aufsicht über die ermittelnden Staatsanwälte führt, vor laufender Kamera demjenigen Bauunternehmer vorab Generalabsolution erteilt, dessen Name zur Kurzbezeichnung des von den Grünen initiierten Untersuchungsausschusses geworden ist. Korruptionsbekämpfung hängt auch davon ab, dass es in diesem Land ein politisches Klima gibt, das Filz, Korruption und Günstlingswirtschaft ächtet. Über die praktische Umsetzung einer solchen Politik werden die Grünen mit der SPD wohl noch den einen oder anderen Schnack halten müssen.