Beam me up, Euphonium

Texte mit Todeswürmern und Käfern wie bei Kafka: Morgen tritt Mary Timony im Tacheles auf. Vielleicht kommt ja auch William Shatner vorbei. Mit dem hat die Indie-Rock-Gitarristin merkwürdigerweise schon mal ein Video gedreht

Einer der schönsten, absurdesten Momente in der Geschichte der populären Musik ist uns Europäern leider entgangen. Jener Augenblick nämlich, in dem Mary Timony in der Band von Captain Kirk landete.

Und das kam so: Vor zwei Jahren, zu Zeiten also, als ein Start-up-Unternehmen noch eine gute Idee zu sein schien, gab Priceline, ein Online-Kaufhaus für Flüge, Hotels und Mietwagen, eine Reihe von Werbespots in Auftrag. Zu diesem Behufe wurde William Shatner engagiert, die Vorzüge von Priceline zu loben und Songs wie „The Age of Aquarius“ zu singen. Als Regisseur der Spots ward Phil Morrison verpflichtet, der sonst Videoclips drehte für Indie-Rock-Bands.

Der wollte wohl ein paar Freunden aus alten Tagen ein paar Krümel zukommen lassen und castete als Backing-Band-Besetzung neben anderen Carrie Brownstein, Gitarristin von Sleater Kinney, und die damals noch bei Helium spielende Timony als Statistinnen: So hielten ausgerechnet Musikerinnen, die ausdrücklich Gender-Fragen auf die Tagesordnung setzten, einem erzkonservativen Macho den Rücken frei. „Es erschien mir ein wenig seltsam“, so Timony, die vor der Kamera so tun musste, als würde sie Keyboards spielen, „aber ich brauchte das Geld. Shatner kam manchmal vorbei, hämmerte auf meine Orgel ein und sagte: Warum spielst du nicht mal das? Ich antwortete: Ich kann nicht, die Orgel ist nicht angeschlossen.“

Da wäre man doch gerne dabei gewesen. Zwei Jahre später aber kommt Mary Timony ganz klassisch auf Tour, nicht im Raumschiff Enterprise, sondern stattdessen mit Mittelalterklängen und einem neuen, ihrem zweiten Soloalbum nach dem Ende der Bostoner Indie-Rock-Helden Helium. Was die an zu viel Prog-Rock ausprobierten, ersetzt Timony auf „The Golden Dove“ mit verhältnismäßig stringentem Songwriting. Entscheidend für ihren Sound aber ist ein Hang zu Melodien, die weniger aus weit entfernten Galaxien als aus einer uralten Vergangenheit zu kommen scheinen. Ein Song wie „14 Horses“ könnte wohl auch auf einem Mittelaltermarkt in der ostdeutschen Provinz funktionieren. Dazu passend setzt sie neben ihrem markanten Gitarrenspiel obskure Instrumente wie Optigan Orgel, Vibraphon oder Euphonium ein.

Diesen Hang zum Altertümlichen kontrastiert sie mit geradezu klassischen Popsongs, die manchmal wie aus den Sixties daherflimmern, mal ebenso schlichte wie zeitlose Liedstrukturen zitieren. Von der rohen, rebellischen Attitüde aus ihren frühen Tagen bei der All-Girl-Punkband Autoclave, die schon bei Helium eher Hintergrundrauschen war, ist nun endgültig nichts mehr geblieben. Statt wie damals explizit politische Emanzipation anzumahnen, entwirft Timony auch in den Texten mit metaphernüberladener Sprache eine Phantasiewelt, in der eintausend Todeswürmer daherkriechen oder Käfer wie bei Kafka, eine surreale Welt, in der Magie regiert, in der Mythen zur Realität werden.

Jedes Lied, das sie schreibe, hat Timony einmal erklärt, sei für sie wie eine Reise in einen neu zu schaffenden Raum. So gesehen wäre die Enterprise vielleicht gar nicht so schlecht, um diese fernen Galaxien zu erforschen.

THOMAS WINKLER

Morgen, am 2.2., ab 21 Uhr im Tacheles, Oranienburger Str. 54–56, Mitte