DIE ABLEHNUNG EINES IRAKKRIEGES EINT DIE EU-ZIVILGESELLSCHAFT
: Konsens der Bürger

Der Kontinent gespalten, die EU fast am Ende, die Europäer unversöhnlich verschanzt in gegnerischen Lagern? Die aufgeregten Reaktionen nach dem Treueschwur acht europäischer Regierungen auf die ewige Waffenbrüderschaft mit dem großen Bruder jenseits des Atlantiks erwecken den Eindruck, als habe es ein US-Präsident geschafft, die letzte Hoffnung auf eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu zerstören. Dabei ist sich Europa so einig wie nie. Zumindest wenn man für einen Moment den starren Blick auf die Positionen der Regierungen beiseite legt und sich dem demokratischen Souverän der Europäischen Union widmet.

Wenn die verbreiteten Umfragen auch nur annähernd realistisch die öffentliche Meinung abbilden, dann ist die Bevölkerung der EU in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit gegen jede Legitimierung dieses Krieges der US-Regierung, erst recht gegen jede Art der Beteiligung daran. Wann gab es in Europa zuletzt einen solch breiten Konsens in einer elementaren außenpolitischen Frage?

Wer die kritischen Stimmen in britischen Medien wahrnimmt, der kann nicht ernsthaft von einer isolierten deutschen Haltung im Konflikt mit der US-Regierung sprechen. Wer sich daran erinnert, mit welchem Unverständnis selbst linksliberale Kreise in Frankreich in den Achtzigerjahren auf die bundesdeutsche Friedensbewegung schauten, der muss in der jetzt bestehenden Übereinstimmung der öffentlichen Meinung eine revolutionäre Entwicklung sehen.

Auch wenn der inflationär gebrauchte Begriff an Kraft verloren hat: Hier scheint es legitim, vom Beginn einer transnationalen Zivilgesellschaft zu sprechen. In der Praxis kann dies bedeuten, dass Proteste in Paris und Berlin eben nicht nur dann Sinn machen, wenn sie gegen die jeweilige nationale Regierung gerichtet sind. Wer sich nicht nur als Franzose oder Deutscher, sondern auch als europäischer Unionsbürger fühlt, der hat auch das Recht, gegen außenpolitische Positionen anderer EU-Regierungen zu opponieren. Zur Bildung einer europäischen Identität und letztendlich auch zur Formierung einer EU-Außenpolitik dürfte dies mehr beitragen als jede Einigung zwischen nationalstaatlichen Regierungen. ERIC CHAUVISTRÉ