ALLE SIND GEGEN MEHR MEHRWERTSTEUER. ABER AUS FALSCHEN GRÜNDEN
: Geld gibt es bei den Reichen

Wahlkampf eben. So lässt sich die Debatte im Bundestag zusammenfassen. Aber die Frage bleibt: Wie sinnvoll wäre eine Erhöhung der Mehrwertsteuer? Direkt vor den Landtagswahlen herrschte gestern Einmütigkeit; keine Fraktion wollte sich vorstellen, dass Steuererhöhungen angebracht sein könnten. „Entlastung für die Bürger“, lautet stattdessen das Motto.

Man könnte meinen, Deutschland sei ein Hochsteuerland, das seinen Bürgern keine müde Mark im Portmonee lässt. Doch es gilt das Gegenteil: Die Steuerquote in der Bundesrepublik liegt sensationell niedrig; die Steuereinnahmen machten 2001 ganze 21,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Selbst die Amerikaner mussten mehr Steuern zahlen, wie die OECD jüngst ermittelte.

Gegen Steuererhöhungen wäre also nichts einzuwenden – wenn andere Abgaben sinken. Denn im internationalen Vergleich fällt auf, dass die Deutschen überdurchschnittlich hohe Sozialbeiträge zahlen. Niedrige Steuern, aber enorme Lohnnebenkosten: Das ist kein Kuriosum für die OECD-Statistik, sondern produziert Arbeitslosigkeit. In Deutschland ist es besonders lohnend, Beschäftigte durch Technik zu ersetzen. Längst dreht sich ein aberwitziger Teufelskreis: Hohe Sozialabgaben kosten Jobs. Das verursacht noch höhere Sozialausgaben, die von noch weniger Beschäftigten aufgebracht werden müssen. Also steigen die Abgaben erneut, weitere Stellen gehen verloren …

Sinnvoller wäre es, die Sozialversicherungen stärker durch Steuern zu finanzieren. Allerdings nicht durch die Mehrwertsteuer! Die sollte tatsächlich nicht steigen. Denn auch das weist die Statistik aus: In den letzten vierzig Jahren haben die „Massensteuern“ wie Lohn- und Mehrwertsteuer überproportional zugenommen, der Anteil der Steuern auf Gewinne und Vermögenseinkommen sank dagegen stetig. Bizarr, aber so ist es: Erstens zahlen die Deutschen wenig Steuern, und zweitens zahlen die Reichen besonders wenig. Dennoch wird die Steuerreform im nächsten Jahr sie weiter entlasten. Auch darin waren sich gestern leider alle Fraktionen einig. ULRIKE HERRMANN