Porträt einer gespaltenen Zukunft

40 Grundschulkinder aus den Stadtteilen Eppendorf und Jenfeld fordern in „Perspektive Hamburg“ die Erwachsenen heraus. Morgen und am Samstag ist das Stück noch einmal im Rahmen von „Wir nennen es Hamburg“ zu sehen

Welchen Bildungserfolg ein Kind hat, hängt in Deutschland in hohem Maße davon ab, welche soziale Herkunft es hat. Diese Tatsache, die nicht erst seit der PISA-Studie wieder zunehmend ins öffentliche Gedächtnis drängt, mit Bildern und Leben zu füllen, war das Anliegen von Regisseurin Maria Magdalena Ludewig. Mit ihrem Diplomprojekt „Perspektive Hamburg“ hat sie sich in Zusammenarbeit mit Grundschulen und Jugendeinrichtungen auf eine Entdeckungsreise durch Wohn- und Kinderzimmer in zwei sozial sehr unterschiedlichen Stadtteilen gemacht: im überwiegend gut situierten Eppendorf, über das eines der Kinder sagt, es sei eine Käseglocke, in der alle unter sich blieben, und im als Problembezirk stigmatisierten Jenfeld – das den Ruf habe, „asozial“ zu sein, und das stimme auch, sind zwei Mädchen fest überzeugt.

40 Videoporträts sind dabei herausgekommen, die Ludewig auf DVD gebannt hat und im Internet zeigt. In denen erzählen die Kinder, was sie bewegt, zeigen ihre Lieblingskuscheltiere, ihr Spielzeug oder ihre Zeugnisse. Und die Eltern berichten von ihrem Alltag, ihren Berufen, von den Erziehungsgrundsätzen und Zukunftswünschen für ihre Kinder. Entstanden ist im Rahmen des Projekts neben diesem vielfältigen Porträt einer gespaltenen Generation aber auch eine beeindruckende Bühnenfassung, die morgen und am Samstag noch einmal im Rahmen des interdisziplinären Kunstfestivals „Wir nennen es Hamburg“ auf Kampnagel zu sehen ist.

Schnell wird dabei deutlich, dass „Perspektive Hamburg“ sich nicht nur als Forschungsprojekt, sondern als Intervention und Infragestellung des Status quo versteht: Hier reden nicht die Eltern, Lehrer oder Experten, hier haben die Kinder das Sagen. Konfrontiert werden sollen die Erwachsenen mit einer kommenden Generation, die ihre Chancen vor dem Hintergrund tiefgreifender sozialer Gegensätze einfordert, die sie schon jetzt spaltet.

Zu Beginn halten die 40 GrundschülerInnen dann auch eine Ansprache, nach und nach erobern sie sich spielerisch den öffentlichen Raum Bühne und behaupten ihre Position selbstbewusst. Vor Zelten, Palmen, orientalischen Teppichen oder Büchern erzählen sie allein oder zu zweit, berichten von Durchsetzungskraft, Einfallsreichtum und Anpassungsfähigkeit, mit denen sie den Möglichkeiten der eigenen Biografie begegnen müssen. Niemand braucht sich hier für seine Ängste zu schämen.

Woher die Kinder kommen, erzählen sie gar nicht. Aber das wird ohnehin schnell deutlich. Von einem Jungen, der mit seinen Eltern im 11. Stock eines Hochhauses lebt, erfahren wir etwa von der großen Verpflichtung, als Einziger in der Familie hoch hinausgekommen zu sein: er hat eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen. Ein iranischer Junge erzählt von den Plänen seiner Eltern, in einen besseren Stadtteil umzuziehen, um ihren Sohn in eine andere Schule schicken zu können – seit kurzem ist er nicht mehr der Klassenbeste. Zwei Mädchen träumen hingegen lieber davon, sich mit Werbejobs – wie ihre eigenen Eltern – einen eigenen Zoo in Australien zu finanzieren. Ein anderes Mädchen macht sich Hoffnungen, später einmal als Schauspielerin Erfolg zu haben und gibt schon einmal Kostproben ihres Könnens. Durch Golf-, Tennis-, Klavier- und Ballettstunden habe sie schließlich eine ausreichende Qualifizierung.

Zum Schluss gibt es einen Ausblick in die Zukunft, eine Fee liefert Zahlen: 14 von ihnen werden Abitur machen, eine von ihnen wird unter 18 Jahren schwanger sein, zwei von Hartz IV leben. Am Ende bleiben Fragen. Etwa die: „Ist Widerstand zwecklos?“

ROBERT MATTHIES

Fr, 10. 10.+Sa, 11. 10., je 19.30 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20; Infos: www.perspektive-hamburg.de