Ein Coming-out unter der Apartheid

„The World Unseen“ von Shamin Sarif läuft auf den Querfilm-Festivals in Bremen und Hannover

Wo trafen Churchill und Gandhi zum ersten Mal aufeinander? Seltsamerweise in Südafrika zu Beginn des 20. Jahrhunderts, denn damals war der zukünftige Premierminister in der britischen Kolonie als Beamter tätig und der spätere Befreier Indiens arbeitete dort als junger Anwalt, der sich um die Belange der vielen Einwanderer aus seiner Heimat kümmerte. In Südafrika gab es eine große Minderheit von Indern, die später der Hauptgrund dafür waren, dass in den Apartheid-Gesetzen streng zwischen „black“ and „coloured“ unterschieden wurde. Auch sie wurden durch die weißen Herrscher unterdrückt und ausgegrenzt, hatten aber gegenüber den ursprünglichen Afrikanern gewisse Privilegien. So durften sie etwa Handel treiben und sich etwas offener auf den Straßen bewegen.

Solch eine Existenz zwischen den herrschenden Rassisten und den brutal Unterdrückten muss schwierig und vor allem hochkompliziert gewesen sein, und das Lavieren, das in dieser zumeist hochgebildeten Gesellschaftsschicht das alltäglich Leben ausmachte, beschreibt die südafrikanische Autorin und Filmemacherin Shamin Sarif in „The World Unseen“, der auf ihrem eigenen, gleichnamigen Roman beruht. Sie erzählt darin eine Geschichte aus den 50er Jahren, als die Apartheid noch unangefochten herrschte und viele der indischen Einwanderer sich dennoch an einem bescheidenen Wohlstand erfreuen konnten. In vielem gleicht dieses Leben dem der kleinbürgerlichen Europäer des Mittelstandes in jener Zeit. Nur konnte jederzeit ein arischer Polizist in das Café einer indischen Familie hineinstürmen, die Besitzer drangsalieren und überprüfen, ob an den Tischen schwarze oder weiße Gäste sitzen, denn beides war streng verboten. Nun wird der Polizist zwar so übertrieben als ein Zähne fletschendes Ungetüm präsentiert, dass man diese Szene kaum ernst nehmen kann, aber wenn man sich an den sehr plakativen Stil dieses Films gewöhnt hat, bei dem etwa eine intrigante Ehefrau wie eine Schlange zischelt, dann ist es durchaus interessant anzusehen, wie sich Menschen mit einem Unrechtsstaat arrangieren müssen.

Natürlich gibt es solche aufrechten Helden wie eine alte britische Lady im Postamt, die eine Freundschaft mit dem Besitzer des Cafés beginnt und diesen rettet, indem sie ihn in einer brenzlichen Situation als ihren Chauffeur ausgibt. Und es gibt die beiden romantischen Heldinnen, denn in „The World Unseen“ wird natürlich in erster Linie von der gefährdeten Liebe zweier Frauen erzählt, sonst würde der Film ja auch kaum auf einem schwul-lesbischen Filmfest gezeigt werden. Und auf dieser Ebene enttäuscht „The World Unseen“ leider endgültig, denn die gleichgeschlechtliche Romanze wird hier auf der Ebene eines Lore-Romans erzählt. Da ist die rebellische Amina, die immer in Männerhosen herumläuft und so viel zu modern für eine indische Frau der 50er Jahre wirkt. Und da ist die scheue Hausfrau Miriam, die von ihrem erzkonservativen Ehemann geschlagen wird und bald lange, sehnsüchtige Blicke mit Amina austauscht. Die Geschichte entwickelt sich so wie Dutzend andere, und die ganze Problematik der indischen Immigranten ist bald wenig mehr als die Kulisse dieser vorhersehbar endenden Geschichte.

Aber bis Sonntagabend sind ja noch andere Filme auf dem 15. Queerfilm-Festival zu sehen, darunter Rosa von Praunheims Dokumentation „Tote Schwule – Lebende Lesben“ oder „She’s A Boy I Knew“ von der transsexuellen Filmemacherin Gwen Haworth. Nur die „World Unseen“ ist voller schon oft gesehener Bilder.WILFRIED HIPPEN