Der Buchhalter der Todespiloten?

Mounir El Motassadeq soll der Finanzverwalter Attas gewesen sein. Im weltweit ersten Prozess um die Anschläge vom 11. September fühlt sich Hamburgs Oberlandesgericht von den Behörden blockiert: Zeugen sind Geheimdiensten vorbehalten

aus Hamburg ELKE SPANNER

Selbst im Hamburger Prozess um die Terroranschläge des 11. September ist die Spannung zu spüren, die das deutsch-amerikanische Verhältnis zurzeit prägt. Nicht nur, dass fünf Angehörigen von Anschlagsopfern persönlich vor Gericht erschienen. Die US-amerikanischen Behörden haben das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) kaum dabei unterstützt, die Schuld oder Unschuld des Angeklagten Mounir El Motassadeq herauszufinden. Das US-Justizministerium lehnte es ab, Protokolle über Aussagen des mutmaßlichen Hauptzeugen Ramzi Binalshibh im Prozess verlesen zu lassen.

Das hatten die Verteidiger Motassadeqs beantragt. Ihr Mandant ist angeklagt, die Attentatspläne der „Harburger Zelle“ um den Todespiloten Mohammed Atta gekannt und ihn unterstützt zu haben. Motassadeq habe während der Flugausbildung Attas in Florida dessen finanziellen Angelegenheiten geregelt. Er habe dadurch Beihilfe zum Mord in 3.045 Fällen geleistet und sei Mitglied in einer „terroristischen Vereinigung“ gewesen.

Der Angeklagte bestreitet aber, von den Anschlägen gewusst zu haben. Ob das stimmt, könnte womöglich Ramzi Binalshibh bezeugen, der sich vor seiner Verhaftung im vorigen September dazu bekannt hatte, an der Planung der Attentate maßgeblich beteiligt gewesen zu sein. Doch weder konnte das OLG ihn vernehmen, noch die Protokolle einsehen, die US-Behörden von seinen Aussagen anfertigten – und die auch dem deutschen Bundesnachrichtendienst (BND) vorliegen. Die Auflage der USA: Verwendung nur für geheimdienstliche Zwecke.

Motassadeq Mordbeihilfe durch die finanzielle Ausstattung der Todesflieger nachzuweisen, wird für die Bundesanwaltschaft (BAW) schwierig werden: Ein FBI-Beamter hatte ausgesagt, dass die Spur des Geldes nicht nach Hamburg, sondern in die Vereinigten Arabischen Emirate führe. Aus Deutschland seien nur insgesamt 10.000 Dollar geflossen. Der FBI-Beamte erwähnte Motassadeq in diesem Zusammenhang nicht.

Anders sieht es mit dem Vorwurf aus, der Marokkaner sei Mitglied der terroristischen Vereinigung „Harburger Zelle“ gewesen. Die Gruppe rund um Mohammed Atta soll die Anschläge für das Al-Qaida-Netzwerk Ussama Bin Ladens geplant und durchgeführt haben. Mit Atta und dessen Komplizen saß Motassadeq in der Tat häufig zusammen an einem Tisch: Seit sich die Attentäter spätestens im Jahr 1999 an der technischen Universität oder beim Beten in der Moschee kennen gelernt hatten, trafen sie sich regelmäßig. Die Gruppe, so die Vermutung der Anwaltschaft, habe sich immer mehr in einen Hass auf den Westen hineingesteigert und schließlich entschieden, die USA durch einen Anschlag ins Mark zu treffen.

Da auch Motassadeq in der Wohngemeinschaft von Atta, Ramsi Binalshibh und Marwan al-Shehi ein- und ausging, sei er über die dortigen Planungen informiert gewesen. Demgegenüber hatte allerdings der Zeuge Shahif Nickels, der als junger Deutscher eine Zeitlang mit in der Clique war, ihn nicht mit aufgezählt, als er den „ganz engen Kreis um Atta“ beschrieb.

Die Verteidigung hält der BAW-Version eine ganz andere entgegen: Danach hat ihr Mandant die Pläne nicht gekannt, weil diese gar nicht in Harburg, sondern von der al-Qaida-Spitze in Afghanistan gefasst und vorbereitet worden sind. Nach dieser Version hat Ussama Bin Laden den inzwischen in Syrien inhaftierten Deutschsyrer Mohammed Haidar Zammer damit beauftragt, unter anderem in Deutschland Gotteskrieger anzuwerben. Die seien dann in einem militärischen Ausbildungscamp eingeweiht worden, welche Aufgabe ihnen anvertraut sei. Laut den Anwälten war ihr Mandant nicht unter den Angeworbenen. Das könnte Zammar selber bezeugen – wenn das Gericht ihn vernehmen dürfte.

Diesmal aber ist es die Bundesregierung, die ein wichtiges Beweismittel vorenthalten will. Bundeskanzleramt und Bundesinnenministerium lehnen die Herausgabe von Verhörprotokollen Zammars „mit Rücksicht auf die Beziehung zu Partnerdiensten“ ab. Das Gericht will sich nicht damit abfinden. Gestern hat der Vorsitzende Richter Albrecht Mentz telefonisch beim Bundeskanzleramt eine Gegenvorstellung angekündigt.