Balanceakt mit bloßen Füßen

Numerische Variationen einer gleich bleibenden Arbeitsanordnung von Leinwand, Holzplanke, Pinsel und Künstlerin: Die Akademie der Künste stellt unter dem Titel „7 Pinselstriche über 1 Pinselstrich“ Gemälde der 1985 in Hamburg diplomierten Hyun-Sook Song aus

Legt man den Kontext- und Content-Fetischismus der modernen Kunstrezeption für einen Moment zur Seite, laden Hyun-Sook Songs Gemälde in der Akademie der Künste zum Luft holen ein. Beim Titel der Ausstellung, 7 Pinselstriche über 1 Pinselstrich, muss man sich eine Künstlerin im Atelier vorstellen, die in Zahlenspiele versunken, den graubraunen, monochromen Untergrund ihrer Gemälde aufträgt.

Song bevorzugt ruhige, erdige Töne und breite Pinselstriche. Für jeden einzelnen von ihnen präpariert sie den Pinsel mit Eitempera und trägt ihn über eine schmale Holzplanke, auf der sie barfüßig vor der Leinwand balanciert, zum Bild. Und zählt: Mit acht Pinselstrichen malt sie einen Tonkrug mit Schnabel, mit zweien einen langen Schweif, eine Pusteblume, und mit 46 Strichen ein Gemälde, das den Titel „9 Pinselstriche über 37 Pinselstriche“ trägt.

In der Umsetzung der numerischen Variationen ihres Lieblingsthemas ist die 50-jährige Südkoreanerin konsequent. Als Konzept tragen sie aber nicht. Rein optisch betrachtet steckt in ihren großformatigen Bildern ein bisschen Lüpertz und ein bisschen Richter. Die dunklen Formen wabern zwischen konkret und abstrakt.Und immer sind sei hinter einem leichten Schleiervorhang aus dickflüssigem Weiß, das erst beim Auftragen durchsichtig wird, versteckt. Verdächtig.

„Es handelt sich bei den topologischen Motiven im doppelten Sinne um Signifikanten ohne Signifikate“, analysiert Roman Kurzmeyer den Minimalismus Hyun-Sook Songs tiefsinnig. Als 20-Jährige kam die Künstlerin das erste Mal nach Deutschland, 1985 diplomierte sie in Hamburg. Ihre asiatische Herkunft wird in den Bildern höchstens als „zweite Wirklichkeit“ (Kurzmeyer) spürbar. Als erste Wirklichkeit ist sie nur in ihren autobiographischen Filmen Mein Herz ist eine Flasche (1995) und Stoffwechsel – Das drachenträchtige Ungeheuer (1995-97), die hier aber nicht gezeigt werden, enthalten.

Die Pinselstrich-Arbeiten werden durch den 12-teiligen Zyklus „Die Honigpumpe läuft“ ergänzt. Die Auseinandersetzung mit Joseph Beuys‘ Energie-Maschine von der Dokumenta 6 bleibt aber oberflächlich. Doch die Verstärkung des Dekorativen ihrer Bilder durch das Wartezimmer-Ambiente der leeren Stuhlreihen im Veranstaltungssaal der Akademie der Künste hat Hyun-Sook Song nicht verdient.

Christian T. Schön

Di–So 11–18 Uhr, Akademie der Künste, Klosterwall 23; bis 2. März