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: Also geht es nach Hongkong

Stillstand ist Tod: Olivier Assayas’ Spielfilm „Boarding Gate“ lässt seinen Figuren weder Rast noch Heimat

Miles Rennberg (Michael Madsen) ist ein Investment-Banker, reich geworden im New-Economy-Hype, der nunmehr vorletzten Crash-Welle unser schönen neuen Wirtschaftswelt. Jetzt, steht in einem Zeitungsartikel zu lesen, den wir auf einem Computerbildschirm zu sehen bekommen, ist er nur mehr „der Inbegriff einer vergangenen Ära“. Genüsslich hält ihm das Sandra (Asia Argento) vor, die Geliebte, mit der er seine Frau betrog; die Geliebte, die ihn verlassen hat und nun ein letztes Mal wiederkehrt. Katz und Maus spielen sie miteinander in den Glaskäfigen, in denen er arbeitet und wohnt. Er lebt ein Leben mit Wänden aus Glas, in denen er selbst und die andern sich spiegeln, Wänden, die aus dem Innen ein Außen machen und aus dem Außen und Innen. Aber hinter tausend Scheiben keine Welt.

Um die verspiegelte Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt des Individuums im Zeitalter der Globalisierung ist es dem Filmemacher Olivier Assayas in „Boarding Gate“ zu tun – bereits zum dritten Mal nach „Demonlover“ (2002) und „Clean“ (2004). Der einstige Kritiker der Cahiers du Cinéma war als einer der viel versprechenden Autorenfilmer der mittleren Generation verbucht. Er hatte psychologisch ausgefeilte realistische Dramen gedreht, er hatte 1996 mit „Irma Vep“ eine schöne Film-im-Film-Hommage an das frühe französische Kino fabriziert und dann mit „Les destinées sentimentales“ bewiesen, dass er sich auf den klassischen Historienfilm versteht.

Mit der Trilogie, die dann folgte, stieß er jedoch alle Freunde des gediegenen Autorenkinos vor den Kopf. Wie sonst nur Bond-Filmen hetzen die Figuren in diesen Filmen durch eine Welt, in der es weder Rast noch Heimat gibt. In „Demonlover“ schickte Assayas Connie Nielsen in ein wüstes Labyrinth aus Job-Eifersucht, japanischer Manga-Industrie und Folter-Live-Bildern im Internet. „Clean“, mit Assayas’ Ex-Frau Maggie Cheung in der Hauptrolle, jagte seine drogensüchtigen Figuren von Kanada nach Paris und London und durch die Machenschaften der Musikindustrie. Wild durcheinander gehen die Sprachen und Schauplätze auch in „Boarding Gate“. Zwischen Englisch mit italienischem oder chinesischem Akzent, Französisch und Kantonesisch wechseln die Dialoge hin und her. In Paris spielt der erste Teil, aber die Stadt ist zwischen Wänden aus Glas nicht wiederzuerkennen. Einen riesigen Hafen sieht man, hier landen die Waren aus aller Welt, und weil Sandra ihre Finger im Drogengeschäft hat, muss sie ins Ausland fliehen.

Also geht es nach Hongkong. Der Transit ist die Grundbewegung des Films, der die erstaunlichsten Rhythmuswechsel vollzieht, der Versatzstücke des Thrillers aneinanderreiht, auf konventionelle Spannungsdramaturgie aber verzichtet. Alles ist Bewegung, unterlegt mit Originaltonlärm und elektronischen Drone-Soundscapes. Hektische Flucht, langsames Umkreisen, der Aufenthalt in Transiträumen, der Sturz in die Stadt, ein fremder Geräusch-, Bewegungs- und Zeichenraum. Sandra ist längst nicht mehr Herrin des eigenen Tuns, wird auf einem Spielfeld herumgeschoben, das keiner mehr überschaut, lernt aber schnell: Stillstand ist Tod.

Es ist nur konsequent, das man auch als Zuschauer die Orientierung verliert zwischen den Intrigen und Räumen, dem Fliehen und Stranden, zwischen Verrat und Mord und gezückten Messern. Assayas klaubt Genre- und Exploitation-Elemente, Globalisierungsbuzzwords und Pop-Momente zusammen und erstellt daraus einen wüsten und entschieden postpsychologischen Remix unserer Gegenwart. Assayas zeigt Menschen, die sich in Geld- und Leidenschaftsströmen bewegen, er zeigt sie in Räumen, die keiner mehr kontrollieren kann. Am Ende lässt er seine Heldin einfach auf einer Rolltreppe aus dem Kader verschwinden, während das Bild vor den Augen zur bloßen Hell-Dunkel-Abstraktion verschwimmt.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist für rund 15 Euro im Handel erhältlich