Chemie vergiftet auch die Rente

Schlechte Chancen bei Krankheit durch Holzschutzmittel: Amtsarzt zieht Berufsunfähigkeitsbescheinigung zurück. Der Antragsteller hatte mit PCP und Lindan zu tun. Dessen Anwalt vermutet „Formulierungshilfe“ durch Berufsgenossenschaft

von HANNA GERSMANN

Fast hätte Peter Röder die Frührente bekommen. Seit 1996 sei er so krank, dass er nicht mehr arbeiten könne, bestätigte der Würzburger Amtsarzt Gunther E. F. Loytved dem 39-Jährigen. Das war vor knapp einem Jahr. Damals kannte der Mediziner nicht alle Akten. Er wusste nicht, dass giftige Holzschutzmittel im Spiel sind. Heute ist das anders. Heute hält Loytved den Exschreiner für „vollschichtig arbeitsfähig“. Dem geht es aber nach wie vor miserabel. Morgen wird er sich dennoch in den Würzburger Gerichtssaal schleppen. Dann wird der Sozialrichter voraussichtlich entscheiden, ob ihm seine Landesversicherungsanstalt, die LVA Unterfranken, doch die Rente zahlen muss.

Hoch hergehen wird es bei dem Termin. Immer, wenn es um Vergiftungen durch Holzschutzmittel geht, müssen die Betroffenen kämpfen. Häufig stehen ihre Chancen schlecht. Die Schlüsselrolle liegt bei den Gutachtern, kaum ein Richter hat das medizinische Spezialwissen. „Hätte ich bloß den Mund gehalten, ich bekäme die 0815-Rente“, ärgert sich Röder. In wenigen Sätzen hatte Loytved den stämmigen Mainfranken für berufsunfähig erklärt. Bandscheibenvorfall und chronische Bronchitis waren offenbar Grund genug. Röder aber machte darauf aufmerksam, dass der vom Sozialgericht beauftragte Gutachter seine Atemnot, Konzentrationsmängel, Magenschmerzen nicht berücksichtigt habe. Wie bei vielen Chemiekranken sind Röders Nerven- und Immunsystem geschädigt. Versehentlich waren nicht alle Akten bei Loytved gelandet. Der Richter bat um ein weiteres Gutachten.

Loytved macht eine Kehrtwende, will Röder in die Arbeitswelt zurückschicken. Warum, ist unklar, sicher ist nur: Der Amtsarzt weiß jetzt mehr über die Krankengeschichte Röders. Mit 15 hatte der eine Tischlerlehre begonnen und wie Ende der Siebziger üblich Tag für Tag mit giftigen Holzschutzmitteln wie Pentachlorphenol (PCP) oder Lindan gearbeitet. An Schutzanzüge hatte damals keiner gedacht (taz vom 27. 12. 2001). Seit 1999 streitet Röder bereits mit der Berufsgenossenschaft (BG), die Holzarbeiten als Ursache für seine massiven Beschwerden anzuerkennen. Der für eine Rente notwendige Zusammenhang sei aber nicht eindeutig nachweisbar, wehrt die bisher ab. Eine Argumentation, die nun auch Loytved führt. 70 Seiten umfasst sein neuer Bericht.

Röders Rechtsanwalt Hanns-Georg Weit ist erbost. „Zwei Drittel des Gutachtens verfehlen das Thema“, schimpft er und spricht vom „Anstrich der Überwissenschaftlichkeit“. Denn um Ursachen geht es bei dem Rentenprozess gegen die LVA nicht. Gestritten wird um die schlichte Frage: Ist der Mann so krank, dass er nicht mehr arbeiten kann? „Genau da bleiben Loytveds Erklärungen aber auf einmal dürftig“, so Weit. Und zunächst genannte Befunde, darunter die Vergiftungssymptome, unterschlage der Amtsarzt später wieder. „Loytved wurde offenbar durch Formulierungshilfen der BG-Hausgutachter verleitet“, mutmaßt Weit. Verliert Röder diesen Prozess, schwinden auch seine Chancen gegen die BG. Der Mediziner beruft sich auf seine ärztliche Schweigepflicht und wollte auf Anfrage der taz zu den Vorwürfen nicht Stellung beziehen.

Röder hat das Recht, einen anderen Gutachter zu benennen. Aber nicht die dafür nötigen 1.500 Euro . Er weiß kaum, wie er die nächste Miete zahlen soll, ist wirtschaftlich am Ende. Da passt es gut, dass seine Krankenkasse, die AOK, letzte Woche entschied, an seiner Seite mitzukämpfen. Schon morgen wird ihr Jurist mit im Würzburger Gerichtssaal sitzen. Zumindest einen Teil dessen, was sie für Röders Behandlung und Krankengeld ausgegeben haben, will sich die AOK jetzt von der LVA zurückholen – und eines Tages dann womöglich auch von der BG.

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