Bürger planen mustergültig

Der Erfinder der „Planungszelle“, Peter C. Dienel, bekommt das Bundesverdienstkreuz. Er schlug vor, Laienkomitees an die Lösung kommunaler Probleme zu setzen. Höchst erfolgreich, wie sich zeigte

aus Köln SEBASTIAN SEDLMAYR

Was klingt wie ein Überbleibsel aus den 70er-Jahren, ist heute eine der erfolgreichsten Formen von Bürgerbeteiligung in der Bundesrepublik: Die „Planungszelle“. Vor rund 30 Jahren kam der Soziologieprofessor Peter C. Dienel auf die Idee, Bürger für kurze Zeit zu Politikern zu machen.

Planungszellen funktionieren stets nach dem gleichen Muster: In Fünfergruppen erarbeiten zufällig aus dem Einwohnermelderegister ausgewählte Personen vier Tage lang Empfehlungen für die Kommune, den Kreis oder das Land, in dem sie leben. Angefüttert mit Vorträgen von Experten, beackern sie ein politisches Feld, von dem sie vorher keine Ahnung hatten. Für diese Arbeit und den Verdienstausfall bekommen sie Geld.

Ihre Empfehlungen haben keinerlei Verbindlichkeit. Jeder Stadtkämmerer kann sie mit dem Hinweis auf einen klammen Haushalt ablehnen. Doch ob beim heiß umkämpften Autobahnteilstück im Baskenland oder bei der Gestaltung des Platzes rings um den als „Gürzenich“ bekannten und geliebten Kölner Konzertsaal aus dem 15. Jahrhundert: Die Erfahrung hat gezeigt, dass oft Kompromisse ausgeheckt werden, die zu Einvernehmen unter allen Beteiligten führen.

Der 79-jährige Dienel erinnert sich an ein „traumatisches Erlebnis“ in der Düsseldorfer Staatskanzlei. Bis 1970 machte er dort im Planungsstab Vorschläge, wie die Energieproblematik langfristig zu lösen wäre. „Wir wurden nicht gehört“, sagt Dienel. Als Grund vermutet er: „Spitzenpolitiker sind verliebt in kurzfristig lösbare Probleme.“

Dienel wechselte von der Staatskanzlei an die Bergische Universität Wuppertal. Dort formulierte er seine Antwort auf den Profipolitiker: „Eine Alternative zur Establishment-Demokratie.“ Die radikale Diktion rutschte bald in den Untertitel. Heute heißt Dienels Lebenswerk als Buch in der fünften Auflage: „Planungszelle – Der Bürger als Chance“.

Bis zum heutigen Grad an Akzeptanz war es für den oft belächelten Demokratievorreiter ein langer Weg. Am meisten zu kämpfen hat er immer noch damit, dass die Politiker vor den Kosten zurückscheuen: „ ‚Wer soll das bezahlen?‘ ist immer die erste Frage.“ Selbstredend weist der Einwand für Dienel in die falsche Richtung. Schließlich setzt der emeritierte Professor auf langfristige Kosten-Nutzen-Rechnungen: „Fehlentscheidungen von Politikern, die sich nicht an den Bürgern orientieren, kosten mehr, als eine Planungszelle je kosten kann.“

Als Nutzen versteht Dienel nicht nur die „Hauptwirkung“ der Planungszellen, nämlich die Gutachten, die nach vier Tagen den staatlichen Auftraggebern zugehen. Die „Nebenwirkung“ des Politspiels seien mittlerweile fast wichtiger: Die Teilnehmer gewönnen ein gutes Stück Vertrauen in das demokratische System zurück. „Die Leute reden noch Jahre später mit Stolz von ihren Tagen in der Planungszelle“, beschreibt Dienel seine Erfahrung mit dem politischen Instrument, auf dem bis heute mehr als 8.000 Laien im In- und Ausland ihre politstrategischen Fähigkeiten geübt haben.

Der gebürtige Berliner hält sein Baby auch für zukunftsfähig. Ein „evolutionärer Sprung in der Demokratie“ seien die Planungszellen. Bald würden damit die allermeisten politischen Sachfragen geklärt. Sogar ein „Partizipationsamt“ erwartet Dienel. Vorerst darf der kämpferische Professor noch einmal mit Genugtuung zurückschauen: Morgen erhält er im Büro des Wuppertaler Oberbürgermeisters Hans Kremendahl das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.