Weg vom Verschleißteil

Auf die richtige Conchierung kommt es an: Der ehemalige Popjournalist Holger In‘t Veld bietet in seinem Schokoladenladen gute Schokolade aus aller Welt und neue Geschmackserlebnisse an

von AYGÜL CIZMECIOGLU

Der Laden mit dem roten Schild über der Tür wirkt unscheinbar. An der Fensterfront spiegelt sich das warme Licht von drinnen. Ein Kamin als Endlos-Videoband flackert im Hintergrund. „Ich wiiiiill nicht!“, hört man einen kleinen Jungen schreien, der sich krampfhaft an der Theke festhält. Erst als der Mann dahinter ihm eine Tüte mit Süßigkeiten in die Hand drückt, folgt er leicht beleidigt dem Vater hinaus.

„Einer meiner Stammkunden“, sagt Holger In‘t Veld. Ihm gehört seit Dezember das Geschäft in der Dunckerstraße 10 in Prenzlauer Berg. Ein Laden voller Schokoladentafeln, Nougatcremes und Pralinen. Zwischen braunen Sitzkissen und Schüsseln voller Kakaobohnen reihen sich die Schokoladen mal in goldfarbener Verpackung, mal in kleinen Leinensäckchen aneinander. Einige sind gefüllt mit Schweinskruste, Fontinakäse, Chili oder Stutenmilch.

Statt Milka und Ritter Sport will In‘t Veld gute Schokolade und neue Geschmackserlebnisse bieten. „Schokolade darf nicht vor Zucker triefen, sondern muss richtig nach Kakao schmecken, leicht bitter“, erklärt er. Um eine ebenmäßig-glänzende Farbe und viel mehr Geschmacksnuancen zu erreichen, müsse die Rohmasse nicht nur ein paar Stunden, sondern mindestens drei Tage conchiert, also durchmischt werden. Eine Seltenheit bei Massenprodukten. Deutschland sei, sagt In‘t Veld, im Vergleich mit anderen Ländern „absolutes Schokoladen-Brachland“. In Frankreich etwa wird regelmäßig ein „Chocolatier des Jahres“ gewählt. Es gibt Schokoladenkünstler und Debattierklubs. Die Schweiz habe sogar Schokoladenvorräte in Banktresoren gelagert, für den Fall eines nationalen Notstandes. Etwas von dieser Vielfalt will In‘t Veld in seinem Laden anbieten. Sozusagen weg vom Verschleißteil hin zum bezahlbaren Genussgut.

Dabei ist ihm auch der ethische Aspekt wichtig. Die größten Kakaoanbaugebiete der Erde befinden sich in Elfenbeinküste, wo eine widerstandsfähige Sorte von mittelmäßiger Qualität herstammt. 90 Prozent der üblichen Supermarktschokolade wird daraus hergestellt. „Kinderarbeit und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen sind dort üblich, sonst könnte sich Europa seinen exzessiven Schokoladenkonsum zu so niedrigen Preisen gar nicht leisten“, sagt In‘t Veld. Zwar gebe es in Bioläden fair gehandelte Schokolade, doch die sei oftmals sehr teuer und enthalte Zuckerersatzstoffe, die jegliches Kakaoaroma plätten. Er versucht den Drahtseilakt zwischen dem guten Gewissen und dem perfekten Geschmack zu meistern, indem er größtenteils Schokolade aus südamerikanischen Kakaosorten anbietet. Die sind hochwertiger und werden in kleinen Plantagen mit übersichtlichen Strukturen angebaut.

Als wäre das noch nicht genug des politisch korrekten Schokoladendeals, kümmert er sich auch noch um die Frauenquote. „Cowgirl“ heißt eine ausschließlich von Frauen geleitete Firma aus Idaho, die Bitterschokolade mit Cayennepfeffer herstellt. In ganz Europa kann man nur bei ihm die kleinen mit Tequilla oder Erdnussbutter gefüllten Schokodrops kaufen.

Über diese kleinen Erfolge freut sich der ehemalige Journalist. In‘t Veld schrieb 15 Jahre lang über Musik und Popkultur, bis er seinen Job als „vereinsamend und rückenschädigend“ empfand und an den Nagel hing. 2001 zog er von Hamburg nach Berlin. Das Schiff auf seinem Logo zeugt noch von seiner hanseatischen Herkunft. „Irgendwie fühlte ich mich hier nicht wohl“, erzählt er. Die Stadt sei zu groß, zu kalt und vollkommen „unterzuckert“ gewesen. „Ich fand nicht mal ordentliche Schokolade, um meinen Frust wegzuessen,und wenn, kostete sie ein Vermögen“, erklärt er. Also beschloss er, den eigenen Laden zu eröffnen. Die Eltern gaben das Geld, die Lebensgefährtin entwarf die Inneneinrichtung. Freunde sind seine Hauptkunden – Jungfamilien mit Kleinkindern, Halbtagsarbeitslose aus der Medienbranche, aber auch ältere Damen mit besonderen Pralinenwünschen.

In‘t Veld aber fühlt sich selbst noch als Laie. Wie sein Laden ist auch sein Wissen über Schokolade und Kakao noch im Werden begriffen. Er will in Zukunft Lesungen anbieten, Schokolade nach eigenen Rezepten herstellen und die Verpackung von Künstlern gestalten lassen. Ein „öffentliches Wohnzimmer“ soll sein Geschäft werden. Vertraut und gemütlich. Ein wenig wie die Tante-Emma-Läden, mit denen er in Hamburg aufgewachsen ist – „nur halt mit Schokolade statt Kartoffeln.“