Gabba auf Demos

Zumindest ein Verstärker für politisches Handeln: Eine Diskussion im Maria über die Frage, wie politisch elektronische Musik ist oder in Zukunft noch sein kann

Klare Zuschreibungen von Gegnerschaften gehören in der Popmusik zu den Vereinfachungsstrategien von gestern. „This guitar kills fascists“ stand auf der Gitarre des Folkbotschafters Woody Guthrie – wer würde sich so etwas heute auf seinen Apple-Laptop schreiben? Daran ändern die neuen Konfliktlinien angesichts der weltumspannenden Märkte wenig. Eingerahmt vom „Play Global“-Motto der diesjährigen Transmediale diskutierte man am Sonntagabend im Maria, wie politisch elektronische Musik ist, oder vielmehr: noch sein kann. Denn dass sich in Techno und Clubleben das Prinzip „anything goes“ durchgesetzt hat, hätte niemand der sieben Panelisten angezweifelt.

Was bleibt, ist ein bisschen Party-Hedonismus und Bambule, wie sie sich etwa Sebastian Handke wünschte, der als Moderator zum Einstieg fragte, ob Gabba-Techno nicht auch ganz gut zum Fitmachen für Demos funktionieren könnte. Bei diesem Ausblick freute sich Ted Gaier von den Goldenen Zitronen, schließlich wird in Hamburgs Politszene an einem entsprechenden Soundclash gebastelt. Zum Marschieren, so Gaier, brauche man eben „Marschmusik“, das hätte schon Hanns Eisler in den Zwanzigerjahren gewusst. Vom historischen Verweis ging es zu aktuellen Mobilisierungskampagnen, für die Gaier als Hörbeispiel einen Technotrack spielte, auf dem die Parole „Black Power“ geshoutet wurde.

Dumm nur, wenn „Fight the Power“ am Ende selbst vom Yuppie nebenan gesungen wird und sich mit den feinen Unterschieden auch die politische Motivation in der großen, bösen Vereinnahmung auflöst. Aber das ist ein womöglich selbst geschaffenes Dilemma. Indem mit Computern, Samplern oder Turntables die Arbeit an der Subversion nach Hause verlagert wurde, haben sich die Produktionsweisen der Minderheiten dem kapitalistischen Modell weitgehend angeglichen: Überall ist das revolutionäre Subjekt hinter technischen Bedingungen verschwunden, das gilt vom Outsourcing der Kreativkräfte bis zum globalen Vertrieb per Internet.

Was dem elektronischen Widerstand dagegen fehlt, ist eine historisch-materialistische Analyse. In diesem Sinne stellte Don Rhein vom aktivistischen Musikerkollektiv Ultra Red aus Los Angeles den Spaß an Techno noch einmal vom Kopf auf die Füße. Als gut geschulter Marxist sprach er von Niedriglohnarbeitern, die in den vormaligen Entwicklungsstaaten die Chips für jene Gerätschaften herstellen, aus denen sich die Clubwelt zusammensetzt, und überhaupt: „Das Empire wird auf dem Rücken der armen Leute gemacht.“

Ultra Red wehren sich, indem sie die Arbeiter zu Wort kommen lassen, lateinamerikanische Migranten bei Folklore-Sessions remixen und auf Konzerten ihren Laptop als akustisches Scharnier zwischen Party-Event und Gegenöffentlichkeit nutzen. Ein sympathisches Konzept, fand nicht bloß Diedrich Diederichsen, der jedoch lieber über die Semantik elektronischer Musik sprechen wollte. Irgendwie blieb seine Hoffnung auf eine bessere Lesbarkeit eher diffus, zumal bei allem Willen zur Exegese die politische Sendung in den „Click ’n’ Cuts“-Loops inzwischen gut versteckt ist.

Soll man deshalb aber Tanzflächen in Seminarräume verwandeln? Auch das ist längst mitbedacht: „Es wird immer weitergehen, Musik als Träger für Ideen“, hieß es in Kraftwerks „Technopop“ bereits 1986. Gerade weil Musik als ästhetische Plattform funktioniert, ist sie, das musste sogar Gaier zugeben, „immer nur Verstärker, nicht der Auslöser für politisches Handeln“. Darin wären sich auch Guthrie und Westbam einig geworden. Wer keinen Musikgeschmack hat, über den er streiten mag, hat vielleicht keine Kraft zum Kämpfen. HARALD FRICKE