Die Trauer des Seehunds

Nach der 31:34-Niederlage im WM-Finale gegen Kroatien sind die deutschen Handballer niedergeschlagen. Doch Bundestrainer Heiner Brand weiß, dass es dazu keinen Anlass gibt

von FRANK KETTERER

Sie waren bitterlich enttäuscht, natürlich, was hätten sie auch anderes sein sollen, und sie gaben sich keinerlei Mühe, diese bittere Enttäuschung zu verbergen. Markus Baur zum Beispiel, der Mannschaftskapitän, sank am Torpfosten zusammen zu nichts weiter als einem Häuflein Elend, und wie er so dasaß und ins Nirgendwo starrte, da ähnelte der Mann aus dem Rückraum doch verdächtig dem Fußballtorhüter Oliver Kahn an dessen schwärzestem Tag, jenem, an dem er das WM-Finale von Yokohama verlor, letzten Sommer war das. Auch Baur hatte in Lissabon gerade das Finale verloren, mit 31:34 gegen Kroatien, auch Baur war untröstlich. Dann kam Heiner Brand auf ihn zu, der Bundestrainer. Mit schweren Schritten näherte er sich seinem Kapitän, kniete zu ihm nieder, tätschelte ihm den Arm, redete auf ihn ein, versuchte doch Trost zu spenden, ein kleines bisschen nur. Es gelang ihm nicht. Brand sah das ein. Er erhob sich wieder und schritt mit der gleichen schlurfenden Schwere davon. Auch dem Bundestrainer stand dabei die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, mit seinem mächtigen Schnauzbart sah er aus wie ein trauriger Seehund. Ein wenig später bekamen die deutschen Spieler ihre Medaillen umgehängt, silberne Medaillen, die der Verlierer, und sie mussten sich aufstellen zum Gruppenfoto für die Fotografen. Es ist ein trauriges Foto geworden von traurigen jungen Männern mit silbernen Verlierer-Medaillen. Auf dem Foto lächelt keiner.

Ulrich Strombach war dann der Erste, der seine Sinne wieder fand – und passende Worte gleich obendrein. „Es war zwar eine Niederlage im Finale, aber ein Sieg im Turnier“, sagte Strombach. Das ist ein schöner Satz, der dem Präsidenten des Deutschen Handball-Bundes (DHB) da gelungen ist. Vor allem aber ist er wahr. Die deutsche Mannschaft muss sich nach dieser Handball-Weltmeisterschaft von Portugal auch nach der finalen Niederlage, der ersten und einzigen im ganzen Turnier, nicht als Verlierer fühlen, umso mehr, als sie im Endspiel auch noch auf Stefan Kretzschmar und Volker Zerbe, zwei ihrer Besten, verletzungshalber hatte verzichten müssen. „Diese Mannschaft hat ein Super-Turnier gespielt“, stellte etwas später auch Heiner Brand fest. „Sie hat keine Kritik verdient. Wir waren nah dran.“ Ohnehin, da ist sich Brand ganz sicher, werden schon in naher Zukunft „alle mit dem WM-Silber zufrieden sein“. Vielleicht wird es ein paar Tage dauern, vielleicht ein paar Wochen, spätestens dann aber werden die Medaillen zu Medaillen von Siegern gewachsen sein.

Heiner Brand wird wohl auch damit Recht behalten, er hat ja immer Recht, wenn es um Handball geht. Als er die deutsche Nationalmannschaft vor sechs Jahren von Arno Ehret übernahm, hatte sie gerade die WM-Qualifikation verpasst. „Ich fange bei Punkt null an“, sagte Brand damals. Nun ist er auf dem Gipfel angekommen, zumindest ist er verdammt nahe dran. Es war ein langer Weg, und ein beschwerlicher, weil die Zeiten nicht gut schienen für deutsche Spieler in der Bundesliga. Es war die Zeit von Bosman, dem Fußballprofi, der per Gerichtsurteil einklagte, dass Profiklubs plötzlich so viele EU-Ausländer einsetzen durften, wie sie wollten. Nicht nur die Handball-Bundesliga steigerte sich daraufhin in einen Kaufrausch. Bald schon firmierte sie als stärkste Liga der Welt – nur für deutsche Spieler, vor allem für den Nachwuchs, schien unter all den Olympiasiegern und Weltmeistern kein Platz mehr.

Brand hat das zu Beginn seines Wirkens bisweilen angeprangert. „Wir brauchen ausländische Topspieler in der Bundesliga, auch fürs Image, aber es müssen nicht sechs, sieben ausländische Nationalspieler in einer Mannschaft stehen“, hat er zur taz einmal gesagt. Die Bundesliga scheint das mittlerweile begriffen zu haben, Brand selbst hat mit seiner Kompetenz und seinen baldigen Erfolgen dafür gesorgt. Bereits nach dem Gewinn der Bronzemedaille bei der EM 1998 wurde es wieder etwas schicker, auch deutsche Spieler mitspielen zu lassen, und die, die mitspielen durften, konnten lernen von all der Weltklasse – und selbst zu solcher reifen. Klaus-Dieter Petersen, Henning Fritz, Stefan Kretzschmar, Christian Schwarzer und Daniel Stephan waren damals schon dabei, den Rest hat Brand nach und nach, mit viel Geduld sowie Bedacht und gegen so manche Widerstände dazu gebaut. „Die Mannschaft hat sich stetig entwickelt“, sagt er heute, darauf ist er stolz. Zu Recht. Mittlerweile ist schon die nächste Generation dabei, auch in der Bundesliga eine Attraktion zu werden. Als „junge Wilde“ sorgen Spieler wie Pascal Hens, Marco Grimm oder Christian Zeitz für Aufregung.

Die Voraussetzungen dafür hat Brand selbst geschaffen, indem er jungen Spielern überhaupt erst sein Vertrauen geschenkt hat, auch wenn die in ihren Vereinen bis dato gar nicht zum Stammpersonal zählten – oder zweitklassig spielten. Christian Zeitz ist dafür das beste Beispiel: Den 22-Jährigen hat Brand von der SG Kronau/Östringen aus Liga zwei geholt, demnächst wird er zum deutschen Meister THW Kiel wechseln, in die stärkste Liga der Welt. Als Vizeweltmeister wird man ihn selbst dort wohl kaum auf der Bank schmoren lassen, sondern er wird neben Stefan Lövgren und Staffan Olsson, den ebenso großen wie alten Schweden, spielen dürfen – und von ihnen weiter dazulernen. „Wir werden nicht schlechter“, hat Stefan Kretzschmar deshalb gesagt, nach dem Finale. „Wir werden eher noch besser.“ Es klang immer noch enttäuscht. Aber es klang auch schon wieder sehr kämpferisch.