Neu entdeckte Kundschaft

Der lahmende Einzelhandel könnte in Schwung kommen, wenn er MigrantInnen als Zielgruppe ernster nimmt. Das besagt zumindest eine Studie, die jetzt von der Industrie- und Handelskammer Osnabrück-Emsland vorgestellt wurde

Verkäufer, die auch Türkisch oder Polnisch sprechen, einfache Symbole auf Verpackungen, die komplizierte Spracherklärungen ersetzen – das sind nur zwei Möglichkeiten, mit denen der Handel ein Publikum in die Geschäfte locken könnte, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist. Bisher seien solche Angebote rar, sagt Eckhard Lammers von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Osnabrück-Emsland. Dabei stagnieren die Umsatzzahlen des Einzelhandels seit Jahren. Und wenn alles so bleibt, wie es ist, wird das auch nicht besser. Im Gegenteil: Die Bevölkerung schrumpft. „Der demografische Wandel“, nennt Lammers das, „ist in der Wirtschaft angekommen.“

Größer wird dagegen der Anteil der MigrantInnen. In Niedersachsen etwa stammen zurzeit 16 Prozent der Bevölkerung aus Einwandererfamilien. Ihr Anteil wird in den nächsten Jahren steigen. Das sollte Einfluss auf den Handel haben, fordern die Autoren der Studie „Multikultureller Einzelhandel“, die jetzt von der IHK Osnabrück-Emsland vorgestellt wurde. „Die wesentlichen neuen Impulse für die Konsumgüternachfrage und das Arbeitskräfteangebot“, heißt es darin, „werden von Menschen mit ausländischer Herkunft ausgehen.“ Und dass die Veränderung der Bevölkerungsstruktur ein „Supertrend“ sei .

Der von Baumärkten zum Beispiel im Emsland bereits jetzt genutzt wird: Sie geben auf ihre Produkte Mengenrabatt und erreichen damit vor allem eine osteuropäische Zielgruppe – die baut in den eigenen Wänden besonders viel selbst und braucht entsprechende Mengen an Material. Von den neu entdeckten Kunden können aber auch andere Branchen profitieren: Der Studie zufolge sollten Lebensmittelgeschäfte Produkte für MigrantInnen in ihr Sortiment aufnehmen und Textilgeschäfte Umkleidekabinen für muslimische Frauen schaffen. Denn die sind darauf angewiesen, dass sie vor Blicken von außen geschützt sind.

Auch als Arbeitnehmer und Unternehmer werden Einwanderer immer wichtiger. So waren 2005 deutschlandweit zehn Prozent der erwerbstätigen MigrantInnen selbständig. Dabei wird ihnen die Existenzgründung nicht gerade leicht gemacht. Bisher gebe es kaum Beratungsangebote, sagt etwa Honey Deihimi, Integrationsbeauftragte des Landes Niedersachsen.

Allerdings hat die Gründungsfreudigkeit von MigrantInnen ihre Ursache: In der Arbeitswelt haben es Bewerber mit nicht deutsch klingenden Namen schwer. Da sei unter Arbeitgebern ein Umdenken nötig, so Marco Graf, Hauptgeschäftsführer der IHK Osnabrück-Emsland: Sie würden es sich oft lieber einfach machen und deutschstämmige Arbeitnehmer einstellen, weil sie die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur und sich daraus ergebende Verständigungsprobleme scheuten.

Auch der Fachkräftemangel kann demnach mit Hilfe von Zuwanderern behoben werden. Und die müssen nicht einmal mehr ausgebildet werden. „Unter Einwanderern gibt es viele hoch qualifizierte Kräfte wie Ärzte und Ingenieure“, sagt Deihimi. Weil ihre Diplome in Deutschland nicht anerkannt werden, würden viele von ihnen aber in weniger qualifizierten Jobs arbeiten. Der Zugang zu ihren eigentlichen Berufen, so Deihimi, müsse ihnen einfacher gemacht werden. ANNE REINERT