Schwarz-rot-grüner Tauschbasar

Von der Steuerpolitik bis zur Gesundheitsreform: Worauf sich die gestärkte Union und die Bundesregierung demnächst verständigen dürften

aus Berlin ULRIKE HERRMANN
, HANNES KOCH
und ULRIKE WINKELMANN

Nach den Wahlen von Hessen und Niedersachsen trumpft die Union auf, als sei sie auch in Berlin in der Regierung. „Wir sind bereit“, formulierte der CDU-Finanzpolitiker Dietrich Austermann gestern die Linie, „eine grundsätzliche Debatte über Steuern zu führen.“

Für die Union gelte „generell: alles ablehnen, bis auf wenige Ausnahmen“. Die Opposition plane eine eigene Steuerreform, die sich an den Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof anlehnt: wenige Stufen, niedrige Sätze, alles ganz einfach. Das erinnert an die FDP, die schon länger drei Steuersätze von 15, 25 und 35 Prozent fordert. „Vielleicht kriegen wir unser Modell ja schon bis zum 1. Januar hin“, sagte Austermann. Sollte es doch länger dauern, will er zumindest die Stufen der rot-grünen Steuersenkung von 2004 und 2005 kombinieren und am 1. Januar in Kraft treten lassen.

Doch bis dahin ist zunächst einmal der Haushalt 2003 auszugleichen. Finanzminister Hans Eichel (SPD) schlug daher vor, unter anderem die Steuer auf Dienstwagen zu erhöhen, die Bausubventionen für Eigenheimbesitzer zu senken, die Gewinne der Konzerne mindestens zur Hälfte zu besteuern und die Verrechnungsmöglichkeiten zwischen Firmenzentralen und ihren Töchtern bei der Gewerbesteuer abzuschaffen. „Nicht mit uns“, lehnte Austermann diese Vorschläge kategorisch ab. Einzige Ausnahme: Auch die Union ist dafür, die Konzerne zu zwingen, Körperschaftssteuer abzuführen, indem die Verrechnung von Steuerguthaben gleichmäßig auf 13 Jahre verteilt werden muss.

„Ich glaube, Herr Austermann lebt in einer anderen Welt“, entfährt es der grünen Finanzpolitikerin Christine Scheel. Es sei „völlige Utopie“, auf den Abbau der Subventionen zu verzichten. Dies würde Einnahmeausfälle von bis zu 5 Milliarden Euro bedeuten.

Jedoch hoffen die Grünen auf Kompromisse. Scheel prognostiziert folgenden Tauschhandel: Die Union wird sich damit durchsetzen, Dienstwagen nicht höher zu besteuern. Dafür wird die Opposition einer teilweisen Senkung der Eigenheimzulage zuzustimmen, wenn kinderlose Paare stärker in die Förderung einbezogen werden. Und bei der Abgeltungsteuer für Zinserträge in Höhe von 25 Prozent werde die CDU mitmachen – „wenn das Bankgeheimnis erhalten bleibt“. Dies entspricht ganz den Grünen, die sich gern mit der Union gegen Eichel durchsetzen würden, der das Bankgeheimnis aufheben möchte.

Einig sind sich Grüne und Union auch beim Thema Ladenschluss. Beide wollen liberalisieren. „Außer Sonntag ist alles möglich“, erklärte der CDU-Arbeitsmarktpolitiker Karl-Josef Laumann. Ähnlich ist es beim Kündigungsschutz. Mehr Flexibilität „geht mit der Union“, prognostiziert der Grüne Werner Schulz. Laumann erinnerte daran, dass das „Optionsmodell für Ältere“ bereits im Wahlprogramm der Union steht. Dort sollte der Kündigungsschutz durch Abfindungsregelungen wahlweise ersetzt werden können. Genauer wollte sich der CDU-Arbeitsmarktexperte jedoch nicht festlegen: „Erst mal soll sich die SPD positionieren.“ Parteiübergreifend unumstritten ist inzwischen, dass die Arbeitslosenhilfe weitgehend auf das Niveau der Sozialhilfe sinkt. Die Union sei „eindeutig dafür“, erklärte Laumann; und Kanzler Schröder kündigte gestern substanzielle „Einsparungen“ bei der Arbeitslosenhilfe an.

Einig sind sich Opposition und Regierung auch bei der Gesundheitsreform – jedenfalls darüber, dass sie kommen muss. In „80 Prozent der Fragen“ lasse sich schnell ein Kompromiss finden, behauptet Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). „Wie Frau Schmidt auf 80 Prozent kommt, weiß ich nicht“, sagt dagegen Andreas Storm, Gesundheitspolitiker der CDU. „Meilenweit“ seien die Vorstellungen auseinander.

Drei Forderungen hat die Union aufgestellt: Die Ausgaben- und Einnahmenseite müssten gleichzeitig reformiert werden. Die Regierung plante bislang, dass Schmidt dieser Tage in ihren „Eckpunkten“ nur erläutert, wie die Ausgaben verringert werden könnten. Gestern versprach Schröder jedoch, mit der Union schon bald über die Eckpunkte zu sprechen, auch außerhalb von Bundesrat und Vermittlungsausschuss. Darüber hinaus verlangt die Union, dass Schmidt kein staatliches Institut zur Qualitätskontrolle gründet. Schließlich fordert die Opposition „mehr Eigenbeteiligung“ der Patienten. Wie weit sich der Kanzler darauf einlassen könnte, wurde gestern nicht deutlich.