Niederlagen sind Chefsache

Nach dem Wahldebakel nimmt der Kanzler die ganze Schuld auf sich. Einzige sichtbare Konsequenz: Die SPD will mehr mit der CDU kooperieren

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Manchmal hätte es Gerhard Schröder leichter, wenn er statt Bundeskanzler Fußballprofi geworden wäre. Dann könnte er so schöne Sätze sagen wie der legendäre Stürmer Jürgen Wegmann. „Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“ Vielleicht hat Schröder gestern kurz an diesen Satz gedacht, als er im Morgengrauen auf dem Flugplatz in Hannover stand – und nicht wegkam. Wegen Eis und Schnee auf dem Rollfeld musste er mit der Bahn fahren. „Witterungsbedingt“ wurden deshalb die SPD-Präsidiumssitzung in Berlin und der erste öffentliche Auftritt des Kanzlers nach den verlorenen Landtagswahlen verschoben. Wenigstens für diese Verspätung gab es also eine simple Erklärung.

Doch von Schröder wird natürlich mehr verlangt. Viel mehr. Während der Kanzler noch im Zug saß, gaben seine Parteifreunde in Bund und Ländern bereits munter Statements ab, die den Erwartungsdruck noch weiter steigerten. „Der Kanzler muss das Heft des Handelns jetzt fest in die Hand nehmen“, forderte der Fraktionsvorsitzende der SPD im Düsseldorfer Landtag, Edgar Moron. Auch der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Michael Müller, wünschte sich „mehr Klarheit“. Besonders gut kam es deshalb nicht an, dass der Kanzler und Parteichef in der für die SPD so desaströsen Wahlnacht schwieg. Als er gestern endlich vor die Presse trat, hatte er immerhin eine Formulierung gefunden, um wenigstens nicht als schlechter Verlierer dazustehen: „Es hat gar keinen Sinn, bei bitteren Niederlagen über Ungerechtigkeiten zu barmen“, sagte Schröder und nahm ungefragt die ganze Schuld an der Pleite in den Ländern auf sich. Die Verantwortung liege „bei der Bundespolitik“, so Schröder, und sei „damit meine Verantwortung“.

Doch wer erwartet hatte, dass der Kanzler eine gravierende Änderung seiner Politik ankündigen würde, sah sich ebenso getäuscht wie die Journalisten, die nach personellen Konsequenzen fragten. „Ich denke nicht daran, und andere denken auch nicht daran.“ Alle Minister bleiben, auch der früher als Eichel-Nachfolger ins Spiel gebrachte Sigmar Gabriel soll bleiben, und zwar als Oppositionsführer in Niedersachsen. Für Schröder ist er trotz seiner Niederlage „eines der größten Talente“ in der SPD. Elegant versuchte Schröder, Wunden zu heilen und als Patriarch die Verantwortung zu tragen. An dem eingeschlagenen Reformkurs müsse man aber nichts Grundsätzliches ändern, da bleibt Schröder stur. Es sei nur bisher nicht gelungen, „die Zusammenhänge zu erklären“.

Wer wollte, konnte eine vierseitige Erklärung des SPD-Präsidiums als das gewünschte „Heft des Handelns“ ansehen. Immerhin wurde in dem Dokument eine neue Tonart angeschlagen: „Deutschland erneuern. Gemeinsam“. Wichtig ist daran das letzte Wort. Denn damit ist die Union gemeint. Weitaus freundlicher als bisher geht die SPD nun auf die Opposition zu. „Wir werden Offenheit und Kompromissfähigkeit zeigen.“ Bei der Gesundheitsreform wolle man die Union „zu Konsensgesprächen noch vor Eintritt in den Gesetzgebungsprozess einladen“.

Doch Schröder weiß: Je enger er mit der CDU/CSU kooperiert, desto mehr Widerstand ist aus der eigenen Partei zu erwarten. Schon warnte IG-Metall-Chef Klaus Zwickel, die soziale Gerechtigkeit nicht zu vernachlässigen. Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis dagegen hatte einen ganz anderen Rat parat. Einen simplen. Um die notwendigen Reformen durchzuziehen, möge Schröder die Einwände von Gegnern und Blockierern künftig „ignorieren“.